Existenz
NEUMANN: »Ob es eines Tages für Lebende möglich wird, zwischen den Sternen zu reisen oder nicht: Welches neugierige Volk könnte der Versuchung widerstehen, wenigstens mechanische Repräsentanten auszuschicken? Surrogate, darauf programmiert, zu erforschen und ›Hallo‹ zu sagen?
Die ersten primitiven Sonden, die unser Sonnensystem verließen – Voyager und Pioneer – zeigten diesen Wunsch und trugen einfache Botschaften, die von anderen Wesen entziffert werden sollten, lange nachdem ihre Autoren zu Staub zerfallen waren.
Und es fanden Vorstudien für umfangreichere Missionen statt, durchgeführt zuerst in den 1970er-Jahren von der British Interplanetary Society. Zu Beginn des neuen Jahrtausends finanzierte die NASA ein Hundert-Jahre-Raumschiffprogramm. Zu den untersuchten Technologien gehörten Maschinen, die die große Leere zwischen den Sternen durchqueren, um in einem fernen Sonnensystem lokale Ressourcen zu nutzen und weitere Sonden zu noch weiter entfernten Zielen zu schicken.
Sollten wir jemals einen Schwarm solcher Repräsentanten losschicken, auch nur ein einziges Mal, so wird es von jenem Punkt an für unsere Botschafter keine Grenzen mehr geben. Ihre Nachkommen werden unsere Grüße bis in die fernsten Winkel des Universums tragen.
Außerdem: Wenn es dort draußen Geschöpfe gibt, die uns ähneln und an Sternen und Planeten interessiert sind, werden sie ebenfalls Sonden ins All schicken, sobald sie dazu imstande sind.«
Ich stelle mir vor, wie Neumann dies alles mit der Zuversicht wohlgesetzter Logik sagt. Aber er bekommt eine enttäuschende Antwort:
ENRICO FERMI: »Vielleicht haben Sie recht. Doch beantworten Sie mir eine Frage: Wenn sich selbst reproduzierende Sonden so tüchtige, effiziente Forscher sind, warum haben uns dann nicht einige dieser wundervollen Apparate ›Guten Tag‹ gesagt?
Sollten sie nicht längst hier sein? Die Ururururenkel der ursprünglichen Maschinen, auf den Weg geschickt von Zivilisationen, die sich viele Jahrmillionen vor der unsrigen entwickelten? Robust und dazu bestimmt, Äonen zu warten … Sie hätten bestimmt unsere ersten Funksignale empfangen und darauf geantwortet!
Angenommen, bei dem einen oder anderen automatischen Gesandten haben im Lauf der langen Zeit die Systeme versagt. Sollten während der vier Milliarden Jahre der Erdgeschichte nicht mehr von ihnen eingetroffen sein? Doch wir wissen nichts von irgendwelchen interstellaren Botschaftern, die uns dazu gratuliert haben, Mitglieder der raumfahrenden Gemeinschaft geworden zu sein.
Daraus lässt sich nur ein logischer Schluss ziehen. Vor uns hat noch niemand die Fähigkeit erlangt, solche Sonden ins All zu schicken! Müssen wir nicht annehmen, dass wir die erste neugierige, gesellige und technisch kompetente Spezies in der Milchstraße sin d ? Vielleicht die einzige weit und breit?«
Die Logik dieser Einzigartigkeitshypothese schien so zwingend so sein, dass eine wachsende Zahl Wissenschaftler den Traum von einem Kontakt mit Außerirdischen aufgab. Vor allem dann, als die jahrzehntelange Suche nach Funksignalen aus dem All ohne Ergebnis blieb.
Natürlich haben uns die Ereignisse inzwischen eingeholt und alle Vorurteile über den Haufen geworfen. Beginnend mit dem Ersten Artefakt sind wir endlich interstellaren Emissären begegnet, eiförmigen Kristallen, darin Software-Geschöpfe, die uns eine Antwort gaben.
Eine deprimierende, aber einfache Antwort.
Wie bei einer Pflanze, die nur einmal in einer Milliarde Jahren blüht, scheint jede lebende Welt eine Blume zu entwickeln, eine Zivilisation, die Samen produziert und ins All schickt, bevor die Blume verwelkt und stirbt. Man könnte die Samen »sich selbst reproduzierende Raumsonden, die lokale Ressourcen nutzen und sich selbst kopieren« nennen, wenn auch nicht im Sinne von Neumann – sie sind ganz anders, als er sie sich vorstellte.
In diesen kristallenen Raum-Keimen hat die Natur von Neumanns Logik verzerrt. Wir wohnen in einem Universum, das sowohl mit »Botschaften« als mit tödlicher Stille gefüllt ist.
Sie schien es jedenfalls.
Doch dann wies uns eine verzweifelte Mission im Asteroidengürtel darauf hin, dass die Wahrheit … kompliziert ist.
Tor Powlow
Altes Licht 67
Erstes Licht.
In einem gravitationellen Strudel treibend – dem marsianischen L2-Punkt –, entfalteten sich siebenundachtzig Blütenblätter an einem gemeinsamen Zentrum. Jedes von ihnen streckte zwanzig Kilometer Kerametall in eine perfekt gewölbte Form und lenkte
Weitere Kostenlose Bücher