Existenz
hier?«
Oh, es gab bereits Klischees in der Art von: »Sie überwachen unsere Sendungen seit Jahren.« Aber stellt euch vor, dass sich die Lauscher bereits in unserem Sonnensystem befinden. Dass sie sich versteckt halten, auf dem Mond vielleicht, oder auf dem Mars. Dass sie aufzeichnen, sich Notizen machen, ihre Schlüsse ziehen. Und vielleicht Entscheidungen treffen?
Natürlich überschnitt sich dies mit der UFO-Mythologie. Wenn auch nur eine Sichtung eines fremden Raumschiffs innerhalb einer Million Jahre echt war … Dann konnte alles möglich sein! Aber nehmen wir das alles mal beiseite. Stellt euch passive Beobachter vor.
Mit der Entwicklung des Internets strömte das ganze Durcheinander unseres öffentlichen und privaten Lebens – Bücher, Datenbanken, ganze Bibliotheken – von Satellit zu Satellit, und für Lauscher im All schwappte genug über. Die verborgenen Beobachter brauchten sich nicht mehr mit Teledramen, Gewaltfilmen und Kriegsberichten zufriedenzugeben. Ihnen standen nun zehntausendmal so viele stillere Momente zur Verfügung. Beispiele einer Menschheit, die friedlich, liebevoll, neugierig und klug sein kann, aber auch schlitzohrig, eigensinnig, räuberisch, lüstern … oder langweilig oberflächlich und banal.
Außerdem führte das Web nicht nur in eine Richtung. Es war keine Einbahnstraße, sondern bot Millionen von Straßen an!
Ein Professor – Allen Tough – begriff: Wenn ET bereits zuhört, fehlt vielleicht nur noch eins, bevor der große Kontakt beginnen kann: eine Einladung!
Toughs Website wurde zu einem blinkenden Willkommensschild, das eventuelle außerirdische Beobachter dort draußen – ob lebend oder Maschine – dazu einlud, sich zu zeigen und vorzustellen.
Er postete die Einladung, wartete auf eine Antwort, und bekam …
Na was wohl?
Professor Toughs Einladung für Außerirdische brachte ihm E-Mails von Leuten ein, die von sich behaupteten, aus dem Weltraum zu stammen. Alle Mails ließen sich leicht zurückverfolgen und gingen auf das Konto von menschlichen Witzbolden. Nicht eine einzige kam »von oben«.
Heute, fast ein Jahrhundert später, verstehen wir zumindest teilweise den Grund dafür. Es steckte durchaus Logik hinter Toughs Idee, aber sie kam viel zu spät.
Es gab keine Außerirdischen dort draußen, aber es hatte sie gegeben , im Asteroidengürtel, viele von ihnen. Wir sehen ihre Friedhöfe. Vor hundert Millionen Jahren hätte Professor Toughs Einladung vielleicht zahlreiche enthusiastische Antworten bekommen.
Aber die Zeiten ändern sich. Die Dinge wurden tödlich, lange bevor Primaten Bäume erkletterten und aus ihren Wipfeln über einen Wald im Miozän riefen.
Tor Powlow
Ein verschlossener Raum 69
Spitzen und Zacken ragten auf, zeichneten sich als dunkle Silhouetten vor den Sternen ab – eine Geisterstadt, seit Äonen tot. Gefrorene Ströme aus glasigem Schaum zeigten sich dort, wo einst altes Felsgestein in sonnenartiger Hitze gebrodelt hatte. Unter eingestürzten wolkenkratzerhohen Gerüsten lagen die schartigen, zerfetzten Leichen unfertiger Sonden.
Tor folgte Gavin durchs Trümmerfeld einer riesigen Replikationsstätte. Ein gespenstischer Ort, gewaltig und einschüchternd. Keine menschliche Kraft hätte eine solche Verwüstung anrichten können. Diese Erkenntnis fügte dem unangenehmen Gefühl, beobachtet zu werden, kalte Hilflosigkeit hinzu.
Eine dumme Reflexreaktion. Tor erinnerte sich daran, dass die Zerstörer längst nicht mehr existierten. Dennoch huschte ihr Blick umher und suchte in dunklen Ecken nach Anzeichen von Gefahr. Das Ausmaß der Katastrophe ließ sie blinzeln.
»Hier unten«, sagte Gavin und führte Tor in die Düsternis unter den schiefen Türmen. Er flog hinter einem kleinen Schwarm halbintelligenter Drohnen und wirkte in seinem glatten Raumanzug fast wie ein Mensch. Nur ein gewisser Unterton in der Stimme wies darauf hin, dass seine Vorfahren keine biologischen Geschöpfe waren, sondern Siliziumwesen. Tor fand die Ironie herrlich. Jeder Beobachter würde sie für das Maschinenwesen halten, nicht Gavin.
Nicht dass es eine Rolle spielte. Die heutige »Menschheit« bestand aus vielen unterschiedlichen Arten, und alle galten als »Bürger«, solange sie das menschliche Gesetz beachteten und die grundsätzlichen Gepflogenheiten des Menschen respektierten. Musik, ein Sonnenuntergang, Anteilnahme, ein guter Witz … In einer von großer Vielfalt bestimmten Zukunft wurde der Mensch nicht von seiner Gestalt definiert, sondern durch
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