Exit Mosel
ohne groß zu fragen näher getreten war. Es war ein verrußtes Nummernschild, das sie an Grabbe weitergab.
»Nenn’ mir mal das Kennzeichen«, bat sie, während sie ihr Handy aus der geräumigen Handtasche kramte.
»Das ist doch total verbrannt und unleserlich.«
»Dann kratz’ es frei.«
»Wie denn?«
»Darf ich?« Der Techniker nahm Grabbe das Schild aus der Hand.
»Kratzen ist nicht nötig, es ist eingestanzt.« Er tastete mit den dünn behandschuhten Fingern über die Einbuchtungen der Rückseite wie ein Blinder über eine Brailleschrift.
»Darf ich es mal versuchen?« Gabi nahm das Schild.
Oben dröhnte die Hupe eines Lkws, Bremsen quietschten so durchdringend, dass alle unten im Gelände innehielten. Der Knall einer Kollision blieb aus.
Vor ihnen ließ der bedächtige Pulsschlag des Flusses winzige Wellen über den Kies rollen. Walde verspürte Lust, einen flachen Stein über die Wasseroberfläche hüpfen zu lassen.
»Dahinten war es, wo wir den Wagen rausgeholt haben.« Er folgte dem Finger seines Kollegen Grabbe. Ein kalter Wind blies von Osten die Mosel hinauf. Seltsam, entweder blies es aus Westen oder aus Osten. Walde versuchte sich zu erinnern, wann es in Trier zuletzt mal Nord- oder Südwind gegeben hatte.
»Wie kam es eigentlich, dass du heute mit dem Boot gefahren bist?«
»Das hat sich so ergeben«, wich Grabbe aus. »Wie du weißt, arbeite ich an mir.«
Weiter draußen auf dem Fluss platschte es, als lande ein Stein im Wasser. Walde wandte sich zum Ufer um. Die Brückenpfeiler nahmen die Sicht auf die Autobahn, deren Getöse unvermindert bis hierher drang. Zwei Gestalten näherten sich. Eine davon war seine Kollegin Gabi. Dahinter zeichnete sich im Gegenlicht der Lampen die Silhouette einer weiteren Frau ab. Sie hatte sehr feminine Konturen, obwohl sie, wie er bei ihrem Näherkommen feststellte, eine Polizeiuniform trug.
»Das ist Caroline«, stellte Gabi die junge Polizistin vor. »Sie war letzte Nacht hier im Einsatz.«
»Hallo.« Sie hob lächelnd eine Hand.
»Und Sie waren gestern Abend hier, nachdem der Brand gemeldet worden war?«, fragte Walde.
»Die Feuerwehr war vor uns da. Aber das Auto war schon weg. Ich habe gerade von der Leiche gehört.«
»Gab es sonst noch Zeugen oder Gaffer?«
»Nein.« Als sie den Kopf schüttelte, rutschte ihr blonder Zopf aus dem Kragen ihrer Uniformjacke. »Als erster hat jemand von einem Schiff aus den Brand gemeldet. Danach gab es auch noch Anrufe von Leuten, die den Brand von der Autobahn aus bemerkt haben.«
»Und sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?«
»Mein Kollege und ich haben hier noch kurz das Gelände abgesucht. Er ist noch auf dem Revier und erledigt die Übergabe mit der Spätschicht.«
»Wo genau hat Ihr Wagen gestanden?« Sattler war zu ihnen getreten.
»Die Feuerwehr war schon da.« Die Polizistin zeigte mit dem Finger zum Brückenpfeiler. »Wir haben dahinter angehalten.«
»Könnte ich das etwas genauer gezeigt bekommen?« Der sonst so sachliche Kriminaltechniker lächelte Caroline an.
Gabis Telefon klingelte. Sie hörte kurz zu. »Es gibt eine Vermisstenmeldung von heute, in der dieses Kennzeichen auftaucht«, gab sie die Information weiter. »Der Wagen ist auf einen Gerhard Roth gemeldet. Das ist der vermisste Linke.«
Ein kalter Windstoß ließ alle vier die Arme verschränken. Walde stellte den Kragen seiner Jacke auf. »Dann fahren wir hin.«
»Kann das nicht bis morgen warten? Das schaffe ich nun wirklich nicht mehr«, nörgelte Grabbe. »Und mit der dreckigen Jacke kann ich nirgendwo mehr hin.«
*
Während Gabi klingelte, blieb Walde hinter ihr auf dem Bürgersteig stehen. Das Haus mit der Nummer 21 hatte, genau wie die anderen in der Reihe, ein Steinrelief über der Tür. War es eine stürzende Taube, die früher, und vielleicht auch heute noch, manchen Kindern Orientierung gab, wenn sie in dem Einerlei aus baugleichen Häusern ihr Zuhause suchten? Eine Friedenstaube mutete ihn unpassend für eine ehemalige Wohnsiedlung des Militärs an. Bis zu ihrem Abzug wohnten hier Angehörige einer französischen Einheit mit ihren Familien. Während er sich fragte, ob er schon einmal eine Darstellung einer Friedenstaube im Sturzflug gesehen hatte, summte der Türöffner.
Die Frau in der Wohnungstür im zweiten Stock beantwortete Gabis Frage, ob sie Marlene Roth sei, mit einem Kopfnicken und führte sie wortlos in ein hell erleuchtetes Wohnzimmer. Walde setzte sich neben Gabi auf die Couch. Er nahm den Kummer im
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