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Exit to Eden

Exit to Eden

Titel: Exit to Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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es mir egal war, ob sie käme oder nicht. Ich hätte ihr gern jeden Schimpfnamen an den Kopf geworfen, den ich kannte, jede Beleidigung in jeder Sprache, die ich je gehört hatte. Aber diese Worte hatten nichts mit ihr zu tun. Sie war Lisa. Und die eine Lüge, die sie mir gegenüber gebraucht hatte, hatte sie an jenem ersten Morgen im »Court of Two Sisters« zugegeben. Und danach hatte sie nie wieder gelogen, mir nichts versprochen oder sich irgendwie kompromittiert.
    Dennoch hatte ich das Gefühl, daß etwas so Lebenswichtiges, so Kostbares zerstört worden war, etwas so Außergewöhnliches und Entscheidendes, daß ich ihr nicht mehr in die Augen schauen konnte. Es war, als hätte sich eine Tür geöffnet, und das Entsetzen, dieser grauenhafte Horror, den ich mein Leben lang gefürchtet hatte, stand nun vor mir.

LISA
Kirchenbesuch
     
    Alles, worum wir dich bitten, ist, daß du es uns erklärst, daß du uns hilfst, es zu verstehen. Wie konntest du das tun?
    Es war ein Loch, ein Bumslokal, eine Drecksbude, ein mieser Schuppen, alles, was einem einfällt für eine heruntergekommene Touristenfalle. Es war ein langgestreckter Raum mit einer Bank an der einen Wand für die Kunden und einem grell beleuchteten Steg als Bühne gegenüber hinter der Bar.
    Ein Mann, der aussah wie eine riesenhafte Frau, tanzte, wenn man das so nennen konnte, denn er schlurfte in Satinpantöffelchen nur vor und zurück, das Licht flackerte auf seinem weißen Satingewand, den dick geschminkten Wangen, der weißen Perücke, in den leblos stieren Augen. Er/sie beobachtete sich selbst im Spiegel, tanzte mit sich selbst, bewegte die Lippen zu dem Lied, das aus dem Lautsprecher knatterte, ein trostloses Rieseln rhythmischer Klänge, die Silberboa flatterte über glatten, kräftigen Armen, und die ganze Erscheinung war sonderbar und unleugbar sinnlich in ihrer Künstlichkeit, schön in ihrer Scheußlichkeit.
    Für mich jedenfalls. Ihr seid alle Engel. Ihr habt alles in das reine Theater, das ihr selber seid, transzendiert. Ich verehre euch.
    Du bist schließlich Mentorin und Schutzengel dieses Systems, und du verlangst von mir, daß ich dir keine Fragen stelle!
    Ich saß reglos an der Wand, schaute zu; die schweren, schwerfälligen Schritte der großen Füße, das billige Rosa der gewachsten Lippen, der leblose, starr geradeaus gerichtete Blick unter dem Saum falscher Wimpern. Uringestank aus dem kleinen Abort direkt hinter dem dreckigen roten Samtvorhang. Der Modergeruch eines schmutzigen Teppichs, feucht, verschimmelt. Schwacher Geruch von süßlichem Make-up, unsauberen Kleidern. Wie die riesigen Marmorengel in der Kirche, die uns die Weihwasserbecken hinhalten, damit wir unsere Finger hinein tauchen. Groß und glatt, unbestreitbar perfekte Kreaturen.
    Ich saß schon seit Stunden dort.
    Wie konntest du ihm das antun, ans was für Gründen auch immer? So mit ihm zu spielen? Wofür hältst du den Mann, daß du dir erlaubst, ihn so zu manipulieren, so auszunutzen? Du bist diejenige, die uns gelehrt hat, nie, niemals den psychischen Sprengstoff zu unterschätzen, mit dem wir zu tun haben.
    Zwei Hundertdollarnoten, damit der Laden geöffnet bleibt. Zehn, elf, zwölf Flaschen Nachtdub-Bier, Bourbon Street draußen fast menschenleer und nur noch ein weiterer Kunde in diesem Club, in diesem Loch, dieser Absteige, dieser Gosse, dieser Kapelle der Perversität, dieser Katakombe, ein ausgemergelter Mann, am Ende der Bar über seinen Drink gekauert, karierte Jacke. Wie konntest du das nur tun?
    Hin und wieder kam der Rausschmeißer herein. Niemand belästigte mich.
    Eine Mann-Frau nach der anderen glitt auf dem Flittersteg über den zahllosen Reihen von schwach beleuchteten Flaschen vorüber, nackte Schultern, lange rosafarbene Arme, schiefgetretene Absätze, hoher Anteil an künstlichem Östrogen von oben bis unten.
    Was soll der Typ denn machen? Er bereitet sich auf die sinnliche Erfahrung seines Lebens vor, und du schnappst ihn dir und reißt ihn einfach raus? Du entscheidest ganz allein, daß du den Vorhang ziehst! Ich möchte verständnisvoll sein, aber wieviel Verständnis hätte ich bei dir gefunden, wenn ich das getan hätte, wenn ich Diana oder Kitty Kantwell oder irgendeine andere einfach so entführt hätte? Glaubst du, du wärst fünfzehnhundert Kilometer weit geflogen, um es mit mir durchzusprechen, Fräulein Perfektionistin?
    Ich wußte plötzlich nicht mehr, ob ich den Weg zurück finden würde. Ich mußte überlegen, wo das Hotel war. Und

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