Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exit

Exit

Titel: Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
mir leid.«
    »Es geht mir nicht um eine Entschuldigung, Vicki. Sie können mir ruhig auf den Schlips treten. Wir müssen nicht die be sten Freunde sein, aber es ist unabdingbar, daß wir uns so weit verstehen, daß wir gemeinsam Cassie helfen können. Und Ihr Verhalten steht dem im Wege. Was ich gesagt oder getan habe, kann nicht der Grund sein. Sie haben mich schon abgelehnt, bevor ich den Mund aufmachte. Offenbar haben Sie etwas gegen Psychologen, und ich vermute, daß Sie von ihnen enttäuscht oder schlecht behandelt worden sind. Wenn Sie weiter für Cassie sorgen wollen, dann müssen wir das jetzt ans Tageslicht bringen. Der Fall ist weiß Gott kompliziert genug. Wir als Mitglieder des medizinischen Teams können es uns nicht leisten, Zeit und Energie mit persönlichen Anfeindungen und Schikanen zu verschwenden. Sagen Sie mir bitte, Vicki: Was haben Sie gegen mich? Bringen Sie es hinter sich. Auch wenn es nichts mit Cassie zu tun hat - ich werde diesen Raum nicht verlassen, bevor Sie reden.«
    Das abfällige Lächeln kehrte kurzzeitig zurück. »Das hab ich schon mal gehört.«
    Plötzlich warf sie die Arme hoch, riß sich die Schwesternhaube vom Kopf und warf sie auf den Boden. »Verdammt!« Dann brach sie in Tränen aus und begann zu reden. Ich brauchte nur noch zuzuhören.
    Sie erzählte nur einen Teil der Geschichte. Es riß alte Wunden auf, und sie kämpfte darum, einen Rest von Würde zu bewahren.
    Ihr mißratener Sohn verwandelte sich in einen »lebhaften Jungen mit Schulproblemen«.
    »Er war nicht dumm, er fand nur nichts, was ihn genug interessierte, und dann kamen ihm alle möglichen Dinge in den Kopf.«
    Der Knabe wuchs zu einem »rastlosen« jungen Mann heran, der einfach »keinen Frieden finden konnte«.
    Serienmäßig begangene Bagatelldelikte schrumpften zu »Schwierigkeiten«. Die Schlüsselszene ging fast unter in Schluchzen und Flüstern: der Tod ihres einzigen Kindes, mit neunzehn, aufgrund eines »Unfalls«.
    Der saufende Ehemann stieg zum Helden der Arbeit auf, gestorben mit achtunddreißig - »zu hoher Cholesterinspiegel«.
    »Zum Glück war das Haus unser Eigentum. Das einzige von Wert, was Jimmy uns außerdem hinterließ war eine alte Harley-Davidson - ein Chopper. Er hat ständig daran herumgebastelt, und wenn er die Maschine zum Laufen brachte, setzte er Ronald auf den Rücksitz und raste durch unser Viertel. Der Chopper war das erste, was ich verkaufte nach seinem Tod. Ich wollte nicht, daß Ronald damit losraste und sich auf der Autobahn den Schädel einschlug. Er hatte immer eine Schwäche für Geschwindigkeit, genau wie sein Vater. Ich verkaufte das Motorrad also an einen der Ärzte drüben im Foothill Krankenhaus. Dort habe ich gearbeitet, bevor Ronald geboren wurde. Als Jimmy tot war, mußte ich wieder dort anfangen.«
    »In der Kinderklinik?« fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, auf einer allgemeinen Station. Sie hatten dort keine Kinderabteilung. Ich hätte lieber mit Kindern gearbeitet, aber ich brauchte eine Stelle nicht zu weit von zu Hause, damit ich in Ronalds Nähe war. Er war zwar schon zehn, aber er war nicht die Art Kind, die man allein lassen kann. Also arbeitete ich Nachtschichten. Um neun legte ich ihn ins Bett und wartete, bis er einschlief. Dann legte ich mich selbst für eine Stunde hin, bevor um elf die Schicht anfing. Ich hatte keine Hilfe. Damals gab es noch keine Kindertagesstätten. Und Babysitter konnte ich mir nicht leisten.«
    Mit den Tränen kämpfend, tupfte sie sich die Augenwinkel.
    »Morgens um sieben raste ich dann nach Hause und hoffte, er würde noch schlafen, damit ich ihn wecken konnte und so tun, als ob ich die ganze Nacht bei ihm gewesen wäre. Am Anfang funktionierte es auch, doch als er größer wurde, merkte er es und begann morgens mit mir Verstecken zu spielen. Er schloß sich im Badezimmer ein…« Sie zerknüllte ihr Taschentuch. Ich bemerkte das Grauen in ihrem Gesicht.
    »Schon gut«, sagte ich, »Sie brauchen nicht -«
    »Sie haben keine Kinder. Sie wissen nicht, wie das ist. Als Teenager blieb er dann die ganze Nacht weg, ohne sich zu melden, manchmal zwei Nächte hintereinander. Wenn ich ihm Hausarrest gab, ignorierte er es einfach. Über Bestrafungen lachte er nur. Wenn ich versuchte, mit ihm darüber zu reden, schrie er es mir ins Gesicht, daß ich ihn immer allein gelassen hätte. Das war seine Vergeltung: Du bist immer weggegangen, jetzt sollst du mal sehen, was das für ein Gefühl ist. In der Schule hat er

Weitere Kostenlose Bücher