Exit
blieb mit meinem Lebensstil, dann würde ich wahrscheinlich nie mehr gezwungen sein, zu arbeiten.
Lou selbst war ein wohlhabender Mann, sogar noch nachdem er den größten Teil seines Vermögens und fast alle seine Klienten verloren hatte. Er verbrachte die Hälfte seiner Zeit auf einem Boot im Südpazifik und die andere Hälfte auf einem Landsitz oben in Oregon. Dort rief ich an und sprach mit seiner Frau. Sie klang heiter und gelassen wie immer. Ich wuß te nie, ob das Charakterstärke war oder nur eine gepflegte Fassade. Wir plauderten eine Weile, bevor sie mir erzählte, daß Lou mit ihrem Sohn auf einer Wandertour war und daß sie ihn vor Sonntag abend oder Montag früh nicht zurück erwartete. Ich gab ihr meinen Fragenkatalog durch.
Dann trank ich eine Tasse Kaffee und wartete, bis Ruth kam und mir half, den Tag zu vergessen.
20
Sie kam mit zwei Koffern und einer Reisetasche und wirkte fröhlich. Ich schaute ihr zu, wie sie ihre Kleider auspackte und in dem Teil meines Schrankes aufhängte, den ich die letzten zwei Jahre freigehalten hatte. Dann setzte sie sich neben mich aufs Bett und lächelte mich an. Wir schmusten eine Weile, dann gingen wir aus und aßen Lammrücken in einem gutbürgerlichen Restaurant, wo wir die jüngsten Gäste waren. Den Rest des Abends verbrachten wir zu Hause mit Musik, Lesen und Kartenspielen. Es war sehr romantisch. Ich fühlte mich ein wenig wie ein Rentner, aber sehr zufrieden. Am nächsten Morgen gingen wir im Wald spazieren und spielten Vogelkundler, indem wir Namen erfanden für die gefiederten Geschöpfe, die uns begegneten. Unser Sonntagsbraten bestand aus Hamburgern und Eistee draußen auf der Terrasse. Nach dem Spülen vertiefte sich Ruth bleistiftkauend und stirnrunzelnd in das Kreuzworträtsel der Sonntagszeitung. Ich streckte mich auf einem Liegestuhl aus und täuschte Entspannung vor. Kurz nach zwei legte sie die Zeitung weg und sagte: »Zwecklos. Zu viele französische Wörter.«
Sie legte sich neben mich, und wir genossen die Sonne, bis ich merkte, daß sie kribbelig wurde. Ich beugte mich zu ihr und küßte sie auf die Stirn.
»Kann ich irgend etwas für dich tun?« fragte sie.
»Nein, danke.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
Sie versuchte zu schlafen, wurde aber immer rastloser.
»Irgendwann im Laufe des Tages möchte ich noch ins Krankenhaus fahren«, sagte ich.
»Gut. Wenn du sowieso weg bist, dann kann ich auch in den Laden gehen und ein paar Kleinigkeiten erledigen.«
Cassies Zimmer war leer. Das Bett war abgezogen und die Vorhänge geschlossen. Auf dem Teppich waren Staubsaugerspuren zu erkennen. Das Badezimmer war kahl und desinfiziert, die Kloschüssel mit einer Papierhülle versiegelt.
Ich rief die Aufnahme an. Cassie war vor einer Stunde entlassen worden. Als ich die Treppen hinunter zum Erdgeschoß ging und mir eine wäßrige Automatencola kaufte, erblickte ich Charles Jones jr., wie er neben George Plumb lachend und mit federnden Säbelbeinen durch die Eingangshalle marschierte.
Wir trafen uns am Ausgang. Erst blieb Jones' Mundwerk stehen, als er mich sah, und dann seine Beine. Auch Plumb blieb stehen, einen Schritt hinter seinem Chef. Sein rosarotes Gesicht glühte heftiger als gewöhnlich.
»Dr. Delaware«, sagte Jones mit einer Stimme, die wie drohendes Knurren klang.
»Guten Tag, Mr. Jones.«
»Haben Sie einen Moment Zeit, Doktor?«
»Sicher«, sagte ich überrascht.
Er sah Plumb an und sagte: »Ich komme nach, George.« Plumb nickte und ließ uns allein.
Nach einem Augenblick fragte Jones: »Wie geht es meiner Enkelin?«
»Das letztemal, als ich sie gesehen habe, ging es ihr besser.«
»Gut, gut, ich war gerade auf dem Weg zu ihr.«
»Sie ist entlassen worden.«
Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Ach ja? Wann?«
»Vor einer Stunde.«
»Verdammt.« Er rieb sich die krumme Nase. »Ich bin extra hergekommen, weil ich es gestern nicht geschafft habe. Ich hatte den ganzen Tag irgendwelche blöde Besprechungen. Sie ist meine einzige Enkelin, wissen Sie. Ist sie nicht hübsch?«
»Ja, sehr. Wenn sie nur gesund wäre …«
Er glotzte mich an. Für einen Augenblick schien er zu erschlaffen, doch er fing sich schnell wieder.
»Gehen wir irgendwohin, wo wir reden können. Wie war's mit dem Speisesaal?« fragte er, während wir im Lift hinunterfuhren.
»Der ist geschlossen.«
»Das weiß ich. Ich habe schließlich selbst die Kürzung der Öffnungszeiten veranlaßt.«
Die Lifttür öffnete sich. Vor dem
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