Exit
im letzten Frühjahr nicht mehr erneuert werden konnte. Deshalb hat sie die Hilfsassistentinnenstelle im Krankenhaus angenommen.«
»Das Stipendium wurde ihr wegen mangelnder Leistungen gestrichen?«
»Nein, nur mit ihrer Dissertation ging es nicht voran, und Beratung lehnte sie ab. Zu Terminen erschien sie nicht. Sie fand immer eine Entschuldigung, sagte, sie könnte es nicht schaffen und brauchte mehr Zeit. Ich bin nie richtig zu ihr durchgedrungen. Ich war nahe daran, sie fallenzulassen, als … Aber das spielt jetzt wohl alles keine Rolle mehr. Nehmen Sie meine kleine Rede als eine ausführliche Antwort auf Ihre Frage nach den Disketten. Ja, ich hab sie mir angeschaut, und es war nichts darauf, was irgendeinen Sinn ergäbe. Es war noch schlimmer, als ich gedacht hatte. Alles, was sie in der ganzen Zeit zustande gebracht hatte, war eine unfertige Einleitung für ihre Arbeit und eine Tabelle mit Zufallszahlen.«
»Zufallszahlen?«
»Ja, für statistische Proben. Ich bin sicher, Sie wissen, wie so was geht.«
Ich nickte. »Man erzeugt mit einem Computer oder mit anderen Techniken eine Anzahl zufälliger Zahlen und benutzt sie, aus einem Pool von numerierten Kandidaten eine zufällige Auswahl zu treffen. Wenn man zum Beispiel die Zufallszahlen fünf, fünfzehn und dreiundzwanzig hat, nimmt man für die Analyse den fünften, den fünfzehnten und den dreiundzwanzigsten auf der Kandidatenliste.«
»Genau. Denise hatte eine riesige Liste solcher Zufallsdaten - Tausende, Seite um Seite Zahlentabellen. Was für eine idiotische Verschwendung von Rechenzeit! Sie war immer noch Jahre davon entfernt, zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Sie war sich noch nicht einmal über die Methode im klaren.«
»Was war denn ihr Thema?«
»Die Vorhersage von Krebserkrankungen anhand geographischer Daten; konkreter war sie nie geworden. Was auf den Disketten stand, war wirklich zum Heulen. Sogar das bißchen, was sie bis dahin geschrieben hatte, war vollkommen durcheinander, Kraut und Rüben, vollkommen unakzeptabel. Ich mußte mich fragen, ob sie nicht wirklich Drogen genommen hatte.«
»Gab es andere Zeichen, die darauf hinwiesen?«
»Ich nehme an, ihre Unzuverlässigkeit könnte man als Symptom auslegen. Und manchmal schien sie sehr erregt zu sein, fast manisch, wenn sie versuchte, mich - oder sich selbst - zu überzeugen, daß sie Fortschritte machte. Aber Amphetamine hat sie bestimmt nicht genommen, sonst hätte sie nicht so zunehmen können in den letzten vier Jahren - zwanzig Kilo, schätze ich. Am Anfang war sie richtig hübsch gewesen.«
»Vielleicht Kokain?«
»Möglich, aber ich habe auch schon Studenten, die keine Drogen nahmen, sich soviel Fett anfressen sehen. Die Belastungen während einer Doktorarbeit können jeden zeitweise zum Wahnsinn treiben.«
»Wie wahr«, sagte ich.
»Als ich erfuhr, daß sie ermordet worden war, sah ich sie plötzlich in einem ganz anderen Licht. Bis dahin war ich absolut wütend auf sie gewesen, doch als ich von ihrem Tod hörte und wie sie gefunden worden war, da tat sie mir nur noch leid. Die Polizei sagte, sie sei wie eine Punkerin angezogen gewesen. Mir wurde klar, daß sie ihr wirkliches Leben vor mir verborgen hatte. Sie war einfach ein Mensch, für den Wissenschaft nichts bedeutete.«
»Könnte ihr Mangel an Motivation etwas damit zu tun gehabt haben, daß sie ein Nebeneinkommen hatte?«
»O nein, sie war arm. Als ich sie annahm, flehte sie mich an, ihr ein Stipendium zu besorgen, sonst könnte sie nicht anfangen.«
Ich dachte an ihren sorglosen Umgang mit Geld und an das brandneue Auto, in dem sie gestorben war.
»Wissen Sie etwas über ihre Familie?«
»Ich bildete mir ein, es gäbe eine Mutter - eine Alkoholikerin. Doch die Polizei konnte niemanden finden. Am Ende haben wir hier für ihre Beerdigung gesammelt.«
»Wo stammte sie her?«
»Irgendwo von der Ostküste. Aber nein, Dr. Delaware, sie war nicht reich, ihre Antriebsschwäche muß andere Gründe gehabt haben.«
Sie schaute auf ihre Uhr, dann auf ihre Handtasche. Für einen Augenblick dachte ich, sie wollte aufstehen, doch statt dessen rückte sie ihren Stuhl näher und sah mich scharf an.
»Wozu all diese Fragen, Doktor? Worum geht es Ihnen eigentlich?«
»Ich kann Ihnen wirklich keine Details nennen. Ich weiß, es mag Ihnen unfair erscheinen, aber es geht um eine Patientin.« Sie war einen Moment still, bevor sie sagte: »Sie war tatsächlich eine Diebin. Die Bücher in ihrem Schrank waren einem anderen
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