Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
stand mal neben mir am Gepäckband am Flughafen und hätte mich gerne abgesahnt. Tom Jones, nicht mein Geschmack! Es haben mich nur die richtig wilden Kerle beeindruckt. Die mit Lebensfreude, die haben mich interessiert. Davon habe ich mir am meisten Spaß versprochen.
Ich habe Bockhorn aber ein bisschen warten lassen, ja. Ganz anders als sonst. Wenn mir ein Mann gefällt, kann ich unglaublich spontan sein. Als er dann kam, hat er diesen Raben mitgebracht, einen Kerzenleuchter, den ich immer noch habe. Dazu eine große Kerze, auf der lauter Herzen waren. Dann hat er gesehen, dass ich Tarotkarten dahatte, und fing spontan an, unsere Geschichte zu legen. Er hatte das vorher noch nie ausprobiert, und tatsächlich lag da unsere ganze Geschichte vor uns bis zum Schluss, als die Karte die Frau zeigt, die alleine mit verbundenen Augen in ihrem Boot sitzt.
Er war ein Romantiker, Wahnsinniger, Süchtiger nach Leben. Er wurde zu dem Mann, der mir einerseits zwar auf Augenhöhe begegnete, andererseits tat ich mich schwer, ihm zu vertrauen – wie jedem Mann seit meinem Vater –, mit ihm lebte ich aber zehn Jahre zusammen. Er wurde zu meinem Gefährten, mit dem ich reiste, der mir die Welt zu Füßen legte, und wie er sagte, zu meinem Bodyguard, meinem Koch, meinem Driver und Lover. Er liebte mich auf seine wilde, hyperromantische, verrückte Weise, und ich liebte ihn auf meine Weise zurück. Ich war so gerne mit ihm zusammen. Das Leben war so bunt mit ihm und er so lebendig.
Von Bockhorn habe ich so viel gelernt. Er war ein scharfer Beobachter, Spürer, Entdecker von Winzigkeiten, Wunderlichkeiten. Er konnte Ameisen ebenso gebannt stundenlang beim Bauen und Schleppen zuschauen, wie er spontan mit seiner unvergleichlichen Intensität mit Wildfremden sofort ins Gespräch kam und dann sogar Freundschaften schloss. Überhaupt: Menschen entdecken. Wenn ihm ein Kind begegnete, hatte er sofort einen Freund oder eine Freundin fürs Leben gewonnen. Er hatte eine unvergleichliche, liebevolle, lustige und ernsthafte Art, mit ihnen umzugehen, und hatte oft einen besseren Zugang zu ihnen als ihre eigenen Eltern. Mit Verrückten war das ganz genauso. Ich erinnere mich, wie wir einmal unterwegs waren, und da saß so ein Typ und wurstelte auf einer Treppe mit seinen Händen am Boden herum. Mir machte so etwas Angst oder Unbehagen. Bis heute ist es so, dass ich mich so einer Begegnung nicht aussetzen und lieber weitergehen will. Bockhorn aber war da anders. Er hatte keine Angst und keinen Ekel, setzte sich neben den Mann auf die Treppe und suchte mit ihm am Boden herum.
Oder einmal, als wir in der Osttürkei unterwegs waren mit unserer Superlandkarte »Europa auf einen Blick« und uns völlig im Nirgendwo verfranst hatten, tauchte auf einmal an einer Weggabelung wieder so ein Verrückter auf. Er konnte gar nicht gescheit sprechen und lallte nur. Bockhorn rief ihm irgendetwas zu – türkisch war es definitiv nicht – und lachte. Der Mann fuchtelte dann wild herum und gestikulierte in irgendeine Richtung, und wir waren gerettet. Dann rief ihm Bockhorn noch durch unser Megaphon am Auto irgendetwas in einer Fantasiesprache zu, und der Verrückte strahlte über das große Lob. Er wusste, dass er uns gerettet hatte.
Ich habe mir später, als er sich aus unserem Leben verabschiedet hatte, immer gewünscht, dass ich auch diesen Touch hätte mit Menschen. Aber ich hatte einfach nicht das tiefe Verständnis oder auch das Mitgefühl, das Bockhorn mitbrachte für alles, was lebte. Wenn mir jemand nicht gefiel, habe ich gleich gesagt: »Wie der schon aussieht, mit dem rede ich gar nicht.« Prejudiced – voreingenommen. Aber Bockhorn hat immer gesagt: »Jeder kann bei uns rein in den Bus und kann ihn ansehen. Und ich merke schnell, wenn das ein Idiot ist, dann siehst du, wie schnell der wieder draußen ist.« Das hat auch gestimmt. Aber er hat jedem eine Chance gegeben. Das fand ich toll und habe mir gewünscht, das könnte ich auch. Und dazu eben seine Magie, er hatte wirklich so etwas wie magische Fähigkeiten und war überzeugt davon, dass man an Märchen glauben muss, damit sie passieren. Bockhorn war ein Menschenflüsterer, ein großer Suchender und Sehnsüchtiger, der zum Schluss nicht mehr suchen wollte.
Schau deine Angst an
Er hat mir außerdem noch etwas Wichtiges beigebracht. Eine seiner größten Lehren bestand in den Worten: »Alles, besonders, wovor du Angst hast, schau dir ganz genau an!« Dazu gibt es ein bestimmtes Erlebnis. Wir
Weitere Kostenlose Bücher