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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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denn dann waren sie ja schwerer zum Trocknen an Land zu ziehen.
    Jetzt war ich ebenso klug wie zuvor. Die nächste Insel, die wir erreidi-ten, hieß Narga. Sie war flach, und in ihren seichten Buchten wachs Papyrus, aber die Mönche brauchten ihn selbst, um ihre Boote regelmäßig zu erneuern, Papyrus verfaule, sagten sie. Und: »Wir müssen mindestens einmal im Jahr neue Boote bauen, auch wenn wir uns Mühe geben, sie nach jeder Fahrt zu trocknen.« In einem alten Steinturm saß ein einsamer Mönch und sagte kein einziges Wort. Er rührte sich auch nicht. Der Turm war vor 250 Jahren von der Kaiserin Mentuab gebaut worden, und der Mönch hatte sich erst vor wenigen Jahren in das offene obere Stockwerk gesetzt, aber er hatte seinem Gott gelobt, bis zu seinem Tode unbeweglich in dem Turm sitzen zu bleiben. Seine Klosterbrüder zur ebenen Erde betrachteten ihn als einen lebendigen Heiligen, wie er da als Silhouette vor den treibenden Wolken saß.
    Wir beeilten uns, auf die Nachbarinsel zu kommen, die mit bewaldeten Höhenzügen massig emporragte. Sie war die heiligste aller Inseln des Tanasees, Daga Stefano, die Insel, die so heilig ist, daß keine Frau, nicht einmal eine Kaiserin, ihre Füße auf dieses Eiland setzen darf. Als letzte hatte es Mentuab, die mächtige Kaiserin Äthiopiens, versucht, und sie war höflich abgewiesen worden, als sie vor 250 Jahren mit ihrem Hof von einem großen Papyrusboot aus das Eiland betreten wollte.
    Vom See aus gesehen, liegt die Insel in üppiger Schönheit da. Auf der Spitze sahen wir ein Grasdach mit einem Kreuz durch die Baumkronen schimmern. Ein zerlumpter Mönch mit starker Elefantiasis des Skrotums bewachte den einzigen Landeplatz der Insel, und hinter ihm stand eine Reihe kleiner Papyrusboote an die Bäume gelehnt. In gespannter Erwartung sprangen wir auf die Steine -und gingen auf der heiligen Insel an Land. Der Mönch ließ uns die Boote untersuchen, und er hielt uns auch nicht zurück, als wir über den breiten Lehmpfad auf die Spitze zugingen. Gigantische Dschungelbäume, Strohhütten, Mönche. Sie verbeugten sich schweigend, murmelten Gebete, und ihre Finger spielten mit kleinen Kreuzen. Papyrus? Alle deuteten in die gleiche Richtung über den großen Binnensee. Dort wächst er in unbegrenzten Mengen. Von dort holten sie ihn selbst. Die Tragfähigkeit? Acht Tage. Vierzehn Tage. Wenn er nicht unter der Last versank, würde er verfaulen und in weniger als zwei Wochen in den Wellen brechen. Papyrus muß trocken gehalten werden, an Land getragen werden. Mehr wußten sie auch nicht.
    Es gelang uns nicht, in den Tempel zu kommen. Mit seinen ovalen Wänden aus Stein, Bambus und Stroh sah er baufällig aus. Aber nebenan lag eine grottenartige Steinhütte voller Reliquien. Hier luden uns zwei lächelnde Mönche in das Dunkel in eine Art Gruselkabinett des Todes ein. Regale mit weißen Schädeln, alten Kreuzen und heiligen Besitztümern von toten Prälaten. Die größten Kleinodien waren gläserne, mit einem Tuch bedeckte Särge. Im Halbdunkel wurde das Tuch zur Seite gezogen und enthüllte die knochendürren eingeschrumpften Mumien von vier alten äthiopischen Kaisern, die einbalsamiert waren und mit runzligen Armen und über der Brust gefalteten Händen dalagen, um auf der heiligen Insel die Ewigkeit zu verbringen. Einst hatten die Leichengefolge diese Mumien in Papyrusbooten über den stürmischen Tanasee geleitet, so wie einst die Mumien der Pharaonen in schweigender Prozession nilabwärts gefahren wurden.
    Wieder in der Sonne, bereiteten wir allen Mönchen eine große Überraschung, als sie ihre eigenen Stimmen aus einem kleinen Tonbandgerät hörten. Alle wollten reden. Alle wollten singen. Und bald saßen alle auf einer breiten Treppe und sangen im Chor ins Mikrophon. Uralte koptische Kirchenlieder. Und ich kauerte vor ihnen und nahm auf. Hinter mir stand der große Kameramann über sein Filmstativ gebeugt. Da erdröhnte ein Brüllen und ein so kräftiger Fluch, daß der Zeiger des Tonbandgerätes ganz ausschlug und dann auf Null stehenblieb. Plötzlich saßen die Mönche wieder mit geschlossenem Mund und großen Augen da. Und hinter mir erblickte ich den Kameramann im wildesten Kriegstanz. Er hatte das Stativ mit einem Fußtritt umgestoßen und war dabei, das Hemd über den Kopf zu ziehen. Es flog beiseite, und dann griff er an den Gürtel.
    »Stop«, zischte ich entsetzt und war wirklich wütend, »bist du vollständig übergeschnappt?«
    Es half nichts. Auch die Hose flog

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