Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Knie fallen zu können. Als die Sonne aufging, knieten die drei in einer Reihe und beugten ihre schwarzen Stirnen mit frisch rasierten Schädeln zum Sand. Sie leuchteten dem erwachenden Sonnengott Ra genau entgegen, denn Abdullah meinte, daß Mekka ungefähr in dieser Richtung liegen müsse. Dann erlebten wir alle einen ungewöhnlichen, inmitten des Sandes und der Steine um uns herum lebendigen und erfrischenden Anblick. Der Papyrus! Er erwartete uns dort in riesigen Haufen, teils gelbgrün, teils golden wie die Sonne. Abdullah ergriff ein langes Messer, und wir zogen alle in gespannter Erwartung hinüber, um das Urteil der Experten bei der ersten kritischen Begegnung zwischen den Bootsbauern aus dem Innern Afrikas und dem Material von den Nilquellen zu hören. Abdullah schnitt mit einer einzigen kleinen Bewegung ein Schilfrohr durch, und die beiden anderen drückten die Schnittfläche zusammen und befühlten den langen Stengel.
»Kirta« , murmelte Mussa.
»Ganagin« , übersetzte Omar für Abdullah ins Tschad-Arabische und entblößte vergnügt die Zähne.
»Papyrus, sie sagen, das ist wirklich Papyrus«, erklärte Abdullah auf Französisch, und alle waren erleichtert und froh. Der Papyrus war von allerbester Qualität.
Gemeinsam wählten wir eine flache Strecke im Sand neben den Zelten aus. Hier maßen wir ein i j m langes und 5 m breites Boot aus und rissen seine Konturen mit einem Stöckchen an.
»So groß soll der Kaday werden.«
»Aber wo ist das Wasser?«
Mussa hatte gefragt, und Omar nickte.
»Das Wasser«, sagten wir anderen. »Ihr habt vor dem Küchenzelt ja die Tonne mit Trinkwasser gesehen.«
»Wir können kein Boot bauen, ohne den Papyrus zu weichen«, sagte Mussa und sah sich in den endlosen Sanddünen mißtrauisch um.
»Aber du hast doch gesagt, daß wir den Papyrus vor Gebrauch drei Wochen lang in der Sonne trocknen sollen!« rief ich aus.
»Ja schon, denn frischer Papyrus bricht. Man muß ihn trocknen, damit er stark wird. Danach muß er geweicht werden, wenn wir ihn biegen wollen, sonst bricht er wie dünne Zweige«, sagten die drei Schwarzen.
Jetzt standen wir da. Im Wüstensand. Die Kamele hatten Wasser im Höcker, und wir hatten es in einer Tonne mit Hahn. Tief unten im Tal strömte der Nil. Dort wurden alle Abwässer entleert. Das Nilwasser würde heute den Papyrus doppelt so schnell faulen lassen wie das Flußwasser zu Zeiten der Pharaonen. Die beiden Männer aus Bol hatten uns nicht gewarnt. In ihrer Welt gab es überall Wasser, nur Wasser und schwimmende Inseln, einen endlosen See mit der Wüste an einem Horizont.
»Wo ist der See?«
Mussa betrachtete uns mißtrauisch, und Omar wurde unruhig. Wir mußten auf der Stelle eine Lösung finden.
»Wir holen ihn!«
Es blieb uns keine andere Wahl. Es war zu spät, das Lager und den großen Papyrusvorrat zu verlegen. Überdies war der Nil schmutzig, und wir wagten es nicht, den Papyrus im Meer zu weichen, bevor es nicht unbedingt notwendig war, weil die Experten behaupten, Seewasser würde das Zellgewebe des Schilfs auflösen. Wir hatten diese Baustelle gerade wegen der Umgebung gewählt. Die Pyramiden als Symbol des alten Ägypten und die Gräber in der Wüste boten reichlich Anlaß, die eigentümlichen Details auf den alten Bootsmalereien zu studieren, so wie die Arbeit an unserem Fahrzeug fortschritt. Und im Wüstenklima konnten wir den Papyrus garantiert trocken halten, wie es nach den Aussagen der Bootsbauer im Tschad und in Äthiopien sein mußte.
»Abdullah, erkläre, daß wir jetzt losfahren und das Wasser holen!«
Corio und ich holperten mit dem Jeep über den Sandkamm in das nächste Araberviertel. Hier kauften wir Ziegelsteine und Zement, trieben einen arbeitslosen Maurer und einen Traktorfahrer auf, der uns jeden zweiten Tag zwölf alte Benzinfässer mit sauberem Wasser in die Wüste fahren sollte. Wir machten mit unseren Freunden aus dem Tschad einen Einkaufsbummel in Kairo, weil ihnen im nördlichen Ägypten die Gewänder allein zu kalt waren. Und Omar begann seine Kur. Am nächsten Tag wurden die ersten Papyrusbündel in einem rechteckigen Ziegelsteinbecken geweicht, das wir im Sand vor den Zelten gemauert hatten. Da sahen wir erst richtig, wie gut Papyrus schwimmt. Drei Mann mußten auf einem einzigen Bündel herumspringen und -tanzen, um es unter Wasser zu drücken, und wir besaßen fünfhundert Bündel. Wenn wir einen einzelnen Papyrusstengel mit dem dicken Ende in eine Wassertonne steckten, sprang er von selbst
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