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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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Moment. Meinem Josh, den ich nicht teilen muss. Ich sehe ihn mit seinem abgewetzten grünen Thron verschmelzen und lasse mich anzünden, wieder und wieder, bis mein Kopf eine Flamme ist. Meine Gedanken bilden eine heiße Lache; sie fließt mir über Schultern und Brust, verklebt Sessel und Teppichboden, während sich die strengen schwarz-weißen Formen der gegenüberliegenden Wand auf mich zu bewegen. Die Poster wölben sich, tropfen von den Wänden wie bunte Schweißperlen. Mein Feuerkopf hat alles erhitzt.
    Lass uns hierbleiben, einfach hierbleiben, lass uns Gesetzlose sein.
    Wir kichern siegesgewiss. Ja, heute kommen wir davon! Heute sind wir allen weit voraus!
    Das Triumphgefühl, nicht die zu sein, die ich hätte sein sollen, bläst mich auf.
    »Der Mann im Mond ist tot!«, denkt es in mir.
    Hier auf unserem neuen Erdtrabanten, in Joshs Zimmer, leuchten und glitzern wir unbestimmt, der Mann im Untergeschoss und ich. Zug um Zug werden wir leichter. Schwerelos machen wir uns auf und verlassen die vorgegebenen Bahnen, leuchten ein letztes Mal und sind weg. Weit weg.

18.
    Ich bin wach. Weißes Licht springt vom Schnee vor meinem Fenster und legt sich auf meine geschlossenen Lider. Es muss bereits später Vormittag sein. Vor etlichen Stunden habe ich mich achtlos in die Decken geworfen. Ich besitze kein Laken. Stattdessen überspannt eine bunte, aus quadratischen Flicken zusammengesetzte Wolldecke die Schaumgummimatte. Ein weiterer wolliger Lappen von unbestimmbarer Farbe und ein blauer Schlafsack mit glatter Oberfläche vervollständigen mein Bettzeug. Irgendwo in diesem Haufen liege ich, vollständig bekleidet mit Fleece­hose und Winterjacke, und denke über die Nachteile des Wachseins nach.
    Aus meiner Froschperspektive erscheint mir die angelehnte Schranktür gefährlich instabil. Sie hat sich von den Scharnieren befreit und fällt mir regelmäßig glücklich in die Arme.
    Ein Blick hinauf zum Fenster lässt mich die Schranktür vergessen, denn auch mit dem Fenster stimmt was nicht ⁠… Die Eisschicht ist ­dicker geworden. Ich hatte einmal die Hoffnung, das Eis würde den Fensterspalt abdichten, die Fuge sauber schließen wie kaltes Silikon. Weit gefehlt. Die Eisschicht schwillt Nacht für Nacht an, hat längst den Spalt, das Holz und Teile der Scheibe überwuchert. Ein bösartiger Eistumor, der in mein Zimmer einfallen will, sich gegen den Rahmen stemmt und das Fenster jeden Tag ein Stückchen weiter aufdrückt.
    Ich schiele nach links. Dort haben die Jahre an der Zimmertür gerüttelt. Jetzt ist der Knauf defekt. Lose Schrauben mühen sich, ihn an Ort und Stelle zu halten. Drehen lässt sich der Knauf längst nicht mehr. Er hängt nur so da, lust- und kraftlos. Dass er seinen Zweck nicht erfüllt, interessiert niemanden.
    Der Raum ist unverschließbar, unversiegelbar, lässt alles rein und alles raus.
    Vorsichtig schiebe ich Nase und Mund aus der Jacke. Glitzernde Nebelschwaden wabern durch den Raum. Ich habe Mitleid mit meinem Atem, den ich so unbarmherzig aus seiner warmen Höhle zwinge, an die Luft setze und grausam erfrieren lasse. Unbeweglich verharre ich in meinem Deckenkokon und atme gnadenlos weiter. Mitleid hin oder her.
    Da ich stets versuche, so wenig Zeit wie möglich in diesem Provisorium von Zimmer und seiner einsamen Langeweile zu verbringen, benötige ich auch kein Ritual, das mir vom Lager aufhilft. Das Aufstehen kostet mich nicht die geringste Überwindung.
    Oben ist alles ruhig. Der schlafende Blake presst die Sofapolster zusammen wie Trockenblumen. Er fließt über die Ränder des Möbels, seine Armmasse verschmilzt mit dem Boden. Röchelnd vergräbt er sich in seinem warmen, schützenden Fett. Er braucht keine Decke.
    Neben ihm Gekrümel aus einer leeren Chips-Tüte, zwei Gabeln pflügen den Teppich. Auf dem Couchtisch leuchten gelbe Maccaroni-Reste im rostfreien Kochtopf.
    Es ist 11 Uhr. Zu spät für die Schule, zu früh für alles andere. Um die Gewissensbisse wegen der inzwischen angehäuften Fehlstunden zu mildern, konzentriere ich mich auf das Wesentliche: den Erhalt der Körpertemperatur. Dazu begebe ich mich in die Küche und schalte den Backofen ein. Dann drehe ich ungeduldige Runden um den schnarchenden Blake, steige so lange die zwölf Treppenstufen auf und ab, bis Ofen und Füße warm sind. Schließlich lasse ich mich vorsichtig auf unserem einzigen, gefährlich kippligen Küchenstuhl nieder, öffne die Klappe und strecke Hände und Gesicht dem heißen, schwarzen Viereck

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