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… I mean – WHY ? Why the fuck would you do that?«
Josh: »He’s my friend.«
In einer düsteren Ecke meines Schädels schwirren die Fetzen einer traurigen Telefonstimme. Die Stimme gehört Sam. Der Hörer glitscht durch meine feuchte Handfläche, drückt gegen hochrote Ohren. Lahme Rechtfertigungsversuche rauschen durch die Sprechmuschel. Wir verhalten uns zivilisiert. Kein Toben, kein Schreien, nur die gängigen Notlügen. Am Ende überlasse ich Sam das letzte Wort und das erste »Klick«.
Der Hörer tutet mich an. Ich denke erleichtert »Freizeichen«.
Es muss Freitag gewesen sein. Der driveway ist komplett zugeparkt, Kunden fliegen ein und aus, bienenemsige Geschäftigkeit auf allen Stockwerken. Ich kann ohne Altlasten ins Wochenende starten, in mir glasklare, scharfgezeichnete Freiheit. Destillierte Freude, die ich in kleinen Gläsern weiterreiche. Schrilles Lachen und feuriges Wasser verbrennen mir den Rachen. Mein Atem bringt die Joints zum Glühen.
Ein grellgefärbter Haarschopf, großgewachsen namens Steve, verfolgt mich bis in Derricks Zimmer. Wir sind neugierig aufeinander. Meine Finger zerzausen ein Orange, das an Wachsmalstifte und krakelige Gestirne auf Kinderzeichnungen erinnert. Geschickte Hände drapieren mich aufs Bett. Münder und Gürtelschnallen haften wie Magneten aneinander. Plötzlich platzt Licht ins Zimmer. Es ist Derrick.
»You guys aren’t fucking on my bed, are you?«
»No! No, we were just …«
Wir torkeln ins Helle. Ich halte mich tapfer aufrecht.
Das Haus ist ein mintgrünes Schiff. Tief unter mir schwanken die Planken. Der Wind biegt den Mast, die Aussicht verschwimmt. Mir schwindelt. Ich klettere vom Ausguck, begrüße die Mannschaft am Oberdeck. Sie sollen mit mir feiern! Trinken wir auf die Ungebundenheit! Der german sailor segelt wieder! In diesem Hafen ein Steve, im nächsten ein Josh. Sie winken mit den Taschentüchern und sehnen meine Heimkehr herbei …
Aber bald schon verfinstert sich der Himmel. Gewaltige Brecher schleudern mich durch den Flur. Der Sturm knickt mir die Beine. Auf Knien rutsche ich über das beigefarbene Teppichsegel, stürze in Wellentäler. Kann nicht gehen, nicht sprechen, singe keine Seemannslieder mehr.
Ein zentnerschwerer Balken begräbt den Rest der Nacht. Mit äußerster Anstrengung versuche ich, das schwarze Ding hochzuhieven. Der dunkle, massive Block rührt sich keinen Zentimeter. Ich gebe auf, glätte meine Stirn und versuche es anders. Auf der Suche nach Namen und Daten durchwühle ich mein Zettelarchiv. Tief unten im zweiten Schuhkarton werde ich fündig. Trotz meiner abenteuerlichen Wochenendseefahrt muss ich am Montag darauf irgendwie den Weg zur Schule gefunden haben. Den blaukarierten, mit Datum versehenen Beweis dafür habe ich vor mir liegen. Auf dem Blatt wechseln sich zwei Handschriften ab, die eine kugelschreiberblau und rund, die andere tintenschwarz und nach links geneigt.
Die Verfasserin der himmelfarbenen Zeilen heißt Kat. Die schwarzen Antworten stammen von mir.
Blau: I heard you were going out w. Sam & then fooled around with 2 other guys – xxx & Steve or something. One of the guys you live with anyways. True?
Schwarz: True. BUT (!) I told Sam that I don’t take this relationship too seriously … I think he didn’t get my point. He is sooo mad at me! But it was still worth it (– especially Steve …)
Blau: Yeah, that’s what I heard. + WOW ! Girl you got it going on! So what’s the boy-plan now? Steve, xxx or Sam?
Schwarz: I don’t know. I think I should take a break …
Blau: By the way … the Derrick guy you live with is scary (very)!
Dann klafft eine große Lücke. Die Karos sind leer, das Papier schweigt. Offenbar wurde der Dialog mündlich fortgeführt. Erst am unteren Seitenrand meldet sich das Blau wieder zu Wort:
Oh, that sucks. So you guys aren’t talking at all?
Ouch!
Ich wende das Blatt. Auf der Rückseite verkündet der Füller mit tiefschwarzer Stimme: Sam is a really nice guy, but he can’t kiss at all!
Woraufhin der Kugelschreiber ein bestätigendes »Bad kissers are the worst!!!« brüllt.
Die restlichen Ereignisse des Wochenendes wehren sich weiterhin gegen ihre Rekonstruktion. Sie wollen unter sich bleiben und verbergen sich hartnäckig.
22.
Sonntag.
Forschende und besorgte Blicke. Schwester und Schwager sind ja nicht blind. Sie sehen die leeren Flaschen und Dosen und die Ringe unter meinen Augen; sie kennen den süßlichen Geruch, wissen, was
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