Extra scha(r)f
bleich, so wie meines wahrscheinlich. Sie sah aus, als würde sie an die Zeit in knapp neun Monaten denken, und als würde das, was sie sah, ihr nicht gefallen. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Zeit verschwenden durfte, um mit ihr in die Abtreibungsklinik zu gehen.
Irgendwann hielt ich es im Wartezimmer nicht mehr aus. Es war kurz vor drei Uhr, und die Anwesenden führten sich auf, als wären sie bei einem Mitternachtspicknick. Ich brauchte Ruhe. Ich setzte mich in Bewegung, um einen Kaffeeautomaten zu suchen. Während ich durch den Flur der Entbindungsstation ging, hörte ich hinter einer der anderen Türen qualvolle Schreie. Ich verharrte kurz und lauschte dem Gebrüll, das sich arabisch anhörte. Es war ohrenbetäubend, im Vergleich dazu klang Soulla wie ein Mäuschen. Die arme Frau, sie musste furchtbare Schmerzen leiden. Mit einem Mal hörten die Schreie auf, einfach so. Danach herrschte Stille. Ich befürchtete das Schlimmste. War sie gestorben? War bei der Geburt etwas schief gelaufen?
Gleich darauf kam eine Schwester aus dem Zimmer. Sie lächelte. Durch den Türspalt konnte ich einen kurzen Blick auf das erschöpfte, schweißüberströmte Gesicht einer jungen Frau im Bett erhaschen. Sie schien ein Bündel Laken im Arm zu wiegen. Sie sah ziemlich fertig aus, aber ihr Gesicht hatte einen ganz besonderen Ausdruck. Das nennt man wohl Liebe. Ich war sehr berührt.
Meine Kehle schnürte sich zu. Ich ging weiter und merkte erst, dass ich weinte, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
»Hey, alles okay?«
Erschrocken fuhr ich herum, erblickte Dino und fiel fast in Ohnmacht. Nicht weil sein Anblick in einem weißen Arztkittel, der ja immer Macht und Autorität ausstrahlt, mich beinahe umhaute. Nein, ganz sicher nicht. Vielmehr lag es daran, dass es mitten in der Nacht war, ich kaum etwas gegessen hatte und zudem an Stress und Übermüdung litt ...
»Dino«, kreischte ich (ich hasse es, wenn meine Stimme umkippt). »Sorry, aber du hast, mich erschreckt. Was machst du denn hier?«
»Ich bin für die Nachtschicht eingeteilt«, sagte er, wobei er es auch auf Griechisch hätte sagen können, und es hätte nicht weniger Sinn ergeben. Offenbar stand mir meine Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Dino lächelte mich an. »Das bedeutet lediglich, dass das Bart‘s Hospital mich mit anderen Kliniken teilen muss.«
Er ertappte mich dabei, dass ich auf die Blutspritzer vorne auf seinem Arztkittel starrte.
»Keine Sorge, ich habe keine Operationen an irgendwelchen Nagetieren durchgeführt«, bemerkte er lachend. Er deutete auf die Tür, vor der ich gerade gelauscht hatte. »Es gab ein paar Komplikationen, aber trotzdem habe ich gerade einen zehn Pfund schweren Brocken auf die Welt geholt. Unglaublich.« Er machte einen euphorischen Eindruck, als stünde er unter Adrenalin.
»Großartig«, entgegnete ich, und es war ehrlich gemeint. »Ich bin allerdings nicht scharf auf so eine Erfahrung ...«
Erneut lachte er. »Das sagen alle Frauen. Aber die meisten machen sie dann doch. Und erstaunlicherweise sogar oft ein zweites Mal.«
»Das muss wohl am Arzt liegen«, entgegnete ich. Oh Mann. War das etwa der Versuch, mit Dino zu flirten?
Verlegen standen wir herum. Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen sollte, möglichst etwas Belangloses, weder einen meiner geistreichen Sprüche noch etwas, was als Flirt missverstanden werden konnte, und auch nichts, was zu blöden Auseinandersetzungen führte über halbblinde Wüstenspringmäuse beziehungsweise darüber, wessen Familie den größeren Knall hat. Dino brach als Erster das Schweigen. »Und was machst du hier?«
»Ich bin wegen meiner Schwägerin hier. Sie bekommt -«
Ich unterbrach mich, weil in diesem Moment eine hübsche Krankenschwester mit graublauen Augen auf uns zukam. »Gute Arbeit, Doktor D.«, sagte sie zu Dino und deutete mit dem Kopf auf die Tür, hinter der der Zehnpfünder zur Welt gekommen war. »Anfangs hatte ich wirklich Bedenken. Ein Glück, dass du in der Nähe warst.« Den letzten Satz hauchte sie fast. War das etwa der Versuch, mit Dino zu flirten?
»Danke, Molly. Ah, ich bin hier fertig. Wie steht es mit dir? Ich, ähm, kann warten, wenn du noch etwas länger brauchst.«
»Klasse, in zehn Minuten bin ich so weit.« Daraufhin wandte sie sich um und kehrte in den Entbindungsraum zurück, mit federnden Schritten. Wer hat schon um drei Uhr morgens einen federnden Schritt?
Dino wirkte verlegen. »Also gut, dann werde ich mal wieder«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher