Extra scha(r)f
Popstars treibenden, mich wie eine heiße Kartoffel fallen lassenden ExKollegen sehen will.
Mit einer Ausnahme.
Mit dieser Ausnahme bin ich nach Geschäftsschluss verabredet.
Auch wenn es nur Sasha ist, auf die ich warte, bin ich trotzdem sehr nervös, während ich an meinem Cappuccino nippe. Wie sehe ich aus? Natürlich habe ich die Plastikschürze und das Haarnetz abgelegt, aber sieht man mir die Imbiss-Aushilfe auch wirklich nicht an? Ich prüfe noch einmal, ob unter meinen Fingernägeln Thunfisch- oder Maisreste hängen. Sie sind sauber.
Dieses Treffen ist bereits fünf- oder sechsmal verschoben worden. Jedes Mal kam kurzfristig die Arbeit dazwischen. Ich spreche natürlich nicht von meiner Arbeit. »Tut mir Leid, aber ich schaffe das heute nicht. Ich muss heute Nacht noch den Flieger nach Dallas nehmen, ich bin doch Hauptrednerin auf dem internationalen Sandwich-Creativ-Seminar.« Das Übliche eben.
Nein, Sasha war diejenige, die jedes Mal absagte. Und jedes Mal mit derselben Begründung: Arbeit. Wäre ich nicht so realistisch veranlagt und so selbstsicher, könnte ich auf den Gedanken kommen, dass Sasha versucht mir aus dem Weg zu gehen, weil ich nun eine Unberührbare bin, eine Unperson, eine Ausgestoßene, ein gesellschaftlicher Paria, eine Aussätzige ...
Ich muss mich bemühen, realistisch und selbstsicher zu bleiben.
Ich hebe den Kopf und sehe Sasha im Eingang des Cafés stehen. Sie erspäht mich ebenfalls, und als sie zu mir an den Tisch kommt, umarmt sie mich herzlich - jetzt fühle ich mich bereits selbstsicherer.
»Kann es sein, dass du nach Curry riechst?«, fragt Sasha und nimmt Platz.
»Keine Ahnung«, entgegne ich und werde rot. »Wahrscheinlich haben die hier mittlerweile warme Küche.«
»Deine neue Frisur sieht toll aus«, bemerkt Sasha.
Meine Haare sind strähnig, stinken nach Curry und müssten dringend gewaschen werden, aber mittlerweile habe ich mich von meinen künstlichen Haaren getrennt, was Sasha wohl aufgefallen ist.
»Ich hatte genug von diesen Rattenschwänzen. Du hast ja immer gesagt, dass sie scheiße aussehen.«
»Das habe ich nicht ernst gemeint, weißt du.«
»Aber in diesem Punkt hattest du völlig Recht, Sash. Das war wirklich rausgeworfenes Geld. Emily hat nur einmal kurz daran gezogen, und schon war die Hälfte ab.«
»Und, wie geht es dir?«, fragt Sasha. »Gefällt es dir, bei deinem Vater zu arbeiten?«
»Ach, weißt du ...« Ich überlege, ob ich ihr erzählen soll, dass ich den Vorsitz einer ungemein wichtigen Regierungskommission übernommen habe, die damit beauftragt ist, eine tropffreie Mayonnaise zu entwickeln, aber stattdessen sage ich: »Ist ganz okay. Ich habe es mir viel schlimmer vorgestellt. Was ist mit dir? Wie läuft‘s im Zone?«
»Ach, alles beim Alten«, entgegnet sie ausweichend. »Ich soll dir von allen Grüße bestellen.«
»Ach ja? Hast du den anderen erzählt, dass wir verabredet sind?«
Jetzt ist es an Sasha, rot zu werden, und ich bekomme prompt ein schlechtes Gewissen - sie wollte nur nett zu mir sein, auch wenn sie totalen Unsinn redete. »Becks lässt dich jedenfalls grüßen«, sagt Sasha, die in ihre Kaffeetasse starrt. »Ich glaube, sie will ihren Job hinschmeißen. Sie kommt mit den ganzen Veränderungen nicht klar.«
Offenbar gab es einige Veränderungen. Beispielsweise arbeitet Jenna nicht mehr in The Zone. Sie war derart empört darüber, wie ihre Meisterschülerin Blaize behandelt wurde, dass sie aus Protest kündigte. Allerdings hat Jenna sich gründlich verkalkuliert. Sie ist nämlich davon ausgegangen, dass ihre Teenie-Anhängerschaft ihr blind folgen würde, was diese auch sicher getan hätte, wenn ihre sündhaft teure Mitgliedschaft im Zone sie nicht zum Bleiben zwingen würde. Jamie musste schnell einen Ersatz für Prinzessin Pink auftreiben, der bei den Mädchen genauso gut ankam wie Jenna. Er musste nicht lange suchen, Sasha ist nämlich - wie ich schon seit Jahren weiß - eine bessere Tänzerin, als Jenna jemals sein wird. Jamie überredete sie, vorerst Jennas Kurse zu übernehmen, und es sollte sich herausstellen, dass das tür beide ein Glücksgriff war. Durch das Tanzen statt Aerobic gewann Sasha ihr Selbstvertrauen zurück. Sie entdeckte, dass man als talentierte Tänzerin lediglich mit gutem Beispiel vorangehen muss. Sasha machte sich schnell bei ihren Tanzschülern beliebt. Inzwischen arbeitet sie überhaupt nicht mehr in der Boutique, sondern als Tanzlehrerin auf Vollzeitbasis.
Welche Ironie, nicht
Weitere Kostenlose Bücher