Extra scha(r)f
Abhaken, abhaken. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass ich für Jamie spioniere. Wenn man auch nicht von verdeckten Einsätzen sprechen kann. Ich meine, die Agenten von der CIA sind sicherlich nicht mit riesigen Klemmbrettern durch Bagdad geschlichen. Selbstmordattentäter? Abhaken. Massenvernichtungswaffen? Ah, einfach abhaken.
Mir fällt plötzlich ein, wer sich den Zone-Check ausgedacht hat. Lydia. Für jemanden mit Lydias Kontrollwahn war dieser Check das perfekte Instrument, um das Personal bloßzustellen. Lydia war erst glücklich, wenn mindestens ein halbes Dutzend Skalps an ihrem Klemmbrett baumelten, nachdem sie ihre Runde gemacht hatte. Unseren Bademeister-Azubi hat sie gefeuert, weil seine Trainingshose Wasserflecken aufwies. Also bitte ...
Lydia!
Meine Güte, hat diese Frau sich gewandelt. Von Jamies gehorsamer Spionin zu seiner schlimmsten Feindin, die ihn tot sehen möchte. Von dem Biest, das es genossen hat, mir das Leben zur Hölle zu machen - sie hat mich sogar wegen meiner Socken angemacht, du lieber Himmel -, zu meiner neuen besten Freundin. Gestern rief sie mich an. Das Telefonat verlief folgendermaßen:
»Charlie, ich musste dich anrufen, um dir zu sagen, wie sehr ich mich für dich freue.«
»Im Ernst?« Ich konnte die Überraschung in meiner Stimme nicht unterdrücken.
»Im Ernst. Ich weiß, wir beide waren nicht immer einer Meinung ...«
Niemand auf diesem Planeten scheint mit dir jemals einer Meinung zu sein, Lydia.
»... aber wenn jemand es verdient hat, meine Nachfolgerin zu werden, dann du.«
»Im Ernst?«, wiederholte ich unbewusst. Lasst es euch allen hiermit gesagt sein: Wenn euch euer Chef das nächste Mal abkanzelt wegen eurer falschen Mimik/Körperhaltung/Socken/was auch immer, dann bedeutet das in Wahrheit, dass er in euch seinen idealen Nachfolger sieht. Damit möchte er euch zu verstehen geben, dass es beruflich aufwärts geht und nicht, wie ihr an m nehmen könntet, dass er euch für einen totalen Versager hält.
»Ich bin zwar nicht glücklich darüber, wie die Sache geendet hat«, sagte Lydia weiter, »aber dir persönlich trage ich nichts nach, Charlie. Ich gratuliere dir. Und ich wünsche dir viel Glück ... Das brauchst du nämlich, wenn du mit diesem Schwein zusammenarbeitest. Wie kann er nur so herzlos sein? Mich rauszuschmeißen wegen meines ... kleinen Schönheitsfehlers.«
Ich bekam prompt ein schlechtes Gewissen. Schließlich habe ich die ganze Zeit über Lydias ... kleinen Schönheitsfehler Witze gerissen, als sie noch bei uns arbeitete. »Es tut mir Leid, Lydia«, murmelte ich, woraufhin sie dramatisch aufschluchzte.
»Ich komme schon klar«, sagte sie dann mit beherrschter Stimme. »Ich habe einen sehr guten Anwalt. Unter uns gesagt, für meinen Anwalt ist das ein eindeutiger Fall von Diskriminierung am Arbeitsplatz.«
»Im Ernst?«, sagte ich - bereits zum dritten Mal. Mir fiel nichts Besseres ein. Lydia hatte Recht. Es war nicht fair. Auch wenn ich sie nicht besonders gut leiden konnte, man schmeißt nicht einfach jemanden raus, weil er schielt. Hätte Jamie Lydia gefeuert, weil sie ein fieses, gehässiges Miststück war, wäre das ein angemessener Kündigungsgrund gewesen, aber nicht wegen ihres ... kleinen Schönheitsfehlers. Doch ich konnte Lydia nicht sagen, dass sie Recht hat, weil ich nach wie vor für Jamie arbeite. Außerdem hat Jamie sich mir gegenüber immer korrekt verhalten. Und er hat mich zur Managerin gemacht - wenn vielleicht auch mangels besserer Alternativen in der Notsituation.
»Ich möchte offen zu dir sprechen, Charlie«, sagte Lydia. »Jamies Vorurteile sind nicht mehr zum Lachen. Erinnerst du dich noch an Fiona?«
Die arme Fiona. Wie könnte ich sie vergessen? Fiona war für unseren Saunabereich zuständig. Eines Tages drehte sie einen Hahn auf statt zu, und ein heißer Dampfstrahl traf ihr Gesicht. Zurück blieb eine große Narbe auf ihrer Wange, und es fiel uns allen schwer, sie anzusehen. Bis auf Daniel. Er war von Fionas entstelltem Gesicht ganz fasziniert. Er fand, die Narbe sah aus wie Italien - er wollte sogar mit einem Filzstift einen schwarzen Punkt darauf malen, um Mailand zu kennzeichnen.
»Jamie ist völlig ausgeflippt, als Fiona nach dem Unfall wieder zur Arbeit kam«, schilderte Lydia weiter. »Er hat gewettert, dass Fionas Anblick unsere Mitglieder in Scharen davontreiben würde. Du hast keine Vorstellung, wie viel Überzeugungskraft es mich gekostet hat, Jamie davon abzuhalten, Fiona rauszuschmeißen.
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