Extra scha(r)f
Hätte ich mich nicht stur gestellt, wäre sie gefeuert worden. Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Charlie. Jamies Einstellung ist zum Kotzen.«
Im Stillen musste ich ihr Recht geben. Trotz all seiner Vorzüge - und da fallen mir mindestens ... einer ein - hat Jamie diese wirklich schlimme Macke. Er kann keinerlei ... Schönheitsfehler ertragen. Weder Narben noch Speckrollen noch fehlende Gliedmaßen noch sonst etwas. In Jamies Vision hat jeder im The Zone Idealmaße. In der Realität legt er den Maßstab sogar noch höher.
»Du solltest beten, dass du niemals einen Schönheitsmakel bekommst, Charlie«, sagte Lydia abschließend.
Ich berührte nervös den winzigen Pickel auf meiner Nase und fragte mich, ob er ein Kündigungsgrund wäre. »Vielleicht kann ich ja meinen guten Einfluss auf Jamie geltend machen«, erwiderte ich optimistisch. »Ihn sozusagen bremsen.«
Lydia stieß ein verächtliches Schnauben aus.
»Ich weiß nicht, was ich sonst tun kann, Lydia.«
»Aber ich«, erwiderte sie leise, und mich beschlich der Verdacht, dass wir nun zum eigentlichen Grund ihres Anrufs kamen. »Jamie hat mir damals wegen Fiona eine Mail geschickt. Richtig widerlich - seine ganzen Vorurteile, schwarz auf weiß. Ich habe die Mail nicht gelöscht. Sie ist noch auf dem PC in mei- in deinem Büro abgespeichert ... Du könntest die Mail an mich weiterleiten.«
»Tut mir Leid, aber das kann ich nicht tun«, lehnte ich ab.
»Oh.« Sie klang überrascht und enttäuscht zugleich.
»Sieh mal, hättest du denn etwas gegen Jamie unternommen, als du noch für ihn gearbeitet hast?«
»Darum geht es nicht -«
»Tut mir wirklich Leid«, unterbrach ich Lydia. Ich wollte ihr liebend gern helfen. Und ich wollte ihr zu verstehen geben, dass ich kein rückgratloser Lakai in Jamies faschistischem Regime war. Jedenfalls nicht nur. Ich habe viele Facetten. Manchmal bin ich zwar ein rückgratloser Lakai, aber ich bin auch eine Studiomanagerin mit der festen Absicht, die Welt in kleinen Schritten zu verändern. »Hör zu, Lydia, ich kann ein paar Sachen ändern«, sagte ich bestimmt. »Schließlich habe ich jetzt die Befugnis als Managerin. Daniel und ich haben bereits einen Anfang gemacht. Wir haben eine stark übergewichtige Frau bei uns im Klub aufgenommen.« Als wäre das eine bewusst politische Entscheidung gewesen.
»Gut«, sagte Lydia, seufzte und fügte dann hinzu: »Wenn du mir nicht helfen willst ... helfen kannst, dann will ich deine Zeit nicht weiter vergeuden. Viel Glück, Charlie. Und nimm es nicht so schwer.«
»Was denn?«
»Die Tatsache, dass alle Chefs früher oder später gehasst werden, auch du.« Danach legte sie auf.
Ich fühlte mich beschissen. All die Jahre hatte ich Jamies Körperwahn toleriert, sogar mit Daniel über jeden gelästert, der diese Vorgabe nicht erfüllte, ohne mir jemals ernsthaft Gedanken darüber zu machen. Ich beschloss, mir diese E-Mail anzusehen. Also setzte ich mich an den PC und durchforstete die Verzeichnisse. Ich brauchte nicht lange, um die besagte Mail zu finden.
Lydia - in Sachen Fiona. Ich kann nicht das Risiko eingehen, dass Fiona gegen mich vor das Arbeitsgericht zieht, wenn ich ihr kündige. Trotzdem können wir uns nicht erlauben, dass sie unsere Kundschaft vergrault. Unsere Kunden geben keine zwei Riesen pro Jahr aus , um Verbrennungen ersten Grades präsentiert zu bekommen. Kurz gesagt, ich will mich in der Sauna entspannen und nicht gruseln. Könnten wir sie nicht hinter die Kulissen verbannen? Am besten in eine Kammer ohne Licht. Jamie.
Lydia hatte Recht. Es war wirklich widerwärtig.
Aber Lydia war nicht ganz ehrlich zu mir. Wenn ich mich recht erinnere, wurde Fiona nicht lange nach ihrem Unfall tatsächlich hinter die Kulissen verbannt. Mag sein, dass es Jamies Idee war, aber Lydia muss sie umgesetzt haben. Mit so etwas macht Jamie sich nicht selbst die Hände schmutzig. So herzlos Jamie auch sein kann, Lydia war keinen Deut besser als er, und nun war es ein wenig zu spät, den Moralapostel herauszukehren - bloß weil ihr dasselbe widerfahren war wie Fiona.
Ich schwor mir an Ort und Stelle, mich niemals in diesem Leben für so etwas vor den Karren spannen zu lassen.
Was Lydias kleinen Seitenhieb betrifft, dass alle Chefs gehasst werden ... Nun, das war nichts weiter als ein kleiner Seitenhieb. Nicht einmal der Rede wert.
Inzwischen ist früher Nachmittag, und ich beende gerade meinen zweiten Zone-Check am heutigen Tag. Auf Jamies Anweisung. Alles muss tipptopp sein, zumal
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