Extra scha(r)f
»Jacqueline möchte ebenfalls mitmachen.«
»Was meinst du mit deinem Aerobic-Kurs?«
Daraufhin zieht Daniel mich zur Seite und flüstert mir ins Ohr: »Mir ist da was eingefallen. Du könntest doch den Kurs leiten.«
Da mir darauf beim besten Willen nichts einfällt, begnüge ich mich mit einem »Uä?« und ziehe die Augenbrauen bis zum Anschlag hoch.
»Sieh doch«, sagt er und deutet auf die Menschenmenge, die in das Foyer hineindrängelt. »Die kommen extra aus Yorkshire zu uns. Wir können sie unmöglich wieder wegschicken. Sie werden sonst bitter enttäuscht sein.«
»Hast du eigentlich einen Knall? Ich kann keinen Aerobic-Kurs leiten.«
»Natürlich kannst du das, Charlie. Ich habe doch gesehen, was du draufhast. Du bist ein Naturtalent. Außerdem, so schwer kann das doch nicht sein.«
Am liebsten würde ich ihn umbringen, aber womöglich hat er ja Recht. So schwer kann das doch wirklich nicht sein, oder? Ich weiß ja, was man als Aerobic-Trainerin zu tun hat. Man stellt sich vome hin und schreit Anweisungen, um die Leute zu motivieren. Das kriege ich hin.
Oder?
Ich bin in Studio 3. Ich sehe gerade den CD-Stapel durch, während sich hinter mir der Saal mit mehreren Quadratkilometern Sportkleidung aus Acryl und Lycra füllt. Besser, ich lasse sie keine Übungen machen, bei denen die Oberschenkel aneinander reiben, sonst könnte sich die statische Aufladung als lebensgefährlich erweisen.
Wie gerne würde ich Daniel jetzt den Hals umdrehen.
Aber zuerst sollte ich mir Gedanken darüber machen, was ich mit den Damen anstelle. Ich konzentriere mich kurz auf diese alt berne Atemübung, die ich in Mayas Yoga-Kurs gelernt habe, und ich scheine tatsächlich ruhiger zu werden. Jetzt weiß ich, was ich mache. Wir fangen an mit einfachem Gehen auf der Stelle. Dann kommt ein langsamer Grapevine dazu, dessen Tempo wir nach und nach steigern. Dazwischen ein paar Knee-Lifts, und am Schluss wieder das Marching zum Abkühlen. Anfängerkram.
Babyleicht.
Ein Kinderspiel.
Wem will ich hier eigentlich etwas vorgaukeln? Vor Nervosität mache ich mir fast in die Hosen. Ich entdecke Sashas Headset und setze es auf, wobei ich mir wie Britney vorkomme. Ich wünschte, ich wäre Britney. Hätte ich Britneys Bewegungen drauf, dann stände ich jetzt nicht hier und müsste überlegen, wie genau der Grapevine geht, oder?
Die CD-Sammlung ist eine Mischung aus Alt und Neu. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, welche CD ich nehmen soll. Ich beschließe, eine der CDs kurz durchzuhören, in der Hoffnung, passende Musik darauf zu finden, als ich plötzlich spüre, dass jemand hinter mir steht. Ich drehe mich um und erblicke Jacqueline in ihrem Festzelt von Adidas. »Ich hoffe, Sie fangen bald an«, sagt sie mit Blick auf die Uhr an der Wand.
Während Jacqueline sich wieder wegdreht und von mir entfernt, schaue ich ebenfalls hoch zur Uhr: fünf nach vier. Shit. Ich sollte wirklich endlich anfangen. Scheiß auf die passende Musik. Ich nehme die erste CD, die mir in die Hände fällt, lege sie in den CD-Player und drehe mich um.
Und da stehen sie, meine fünfundvierzig erwartungsfrohen Weight Watchers aus Batley sowie eine Opernsängerin. Wirklich ein schräger Anblick. Wie konnte das nur passieren? Irgendwie ist es diesen Frauen, deren Proportionen normalerweise eher in meinem anderen Leben - also privat - zu finden sind, gelungen, die Grenze zur anderen Seite zu überwinden, in mein Berufsleben.
Alle blicken mich gespannt an, und ich habe furchtbares Lampenfieber. Ich komme mir vor wie diese erbärmlichen Idioten in Pop Idol , die vor der Jury wie Espenlaub zittern, bloß dass ich mich noch viel erbärmlicher anstelle. Die Kandidaten bei Pop Idol sind wenigstens vorbereitet und haben ihren Liedtext auswendig gelernt, während ich OHNE BESCHISSENES ANLEITUNGSMATERIAL dastehe! Am liebsten würde ich Daniel die Leber herausreißen und einem Rudel hungriger, geifernder -
In diesem Moment erspähe ich Daniel rechts von mir, hinter der Scheibe. Dieser Mistkerl will sich an meiner Blamage ergöt m zen. Ich sehe wieder zu den Frauen, die meinen Blick gespannt erwidern, als wäre ich Jane Fonda persönlich und wir würden diese neue Sportart namens Aerobic zum ersten Mal gemeinsam ausprobieren. »Einen Augenblick noch, meine Damen«, sage ich und gehe zielstrebig zur Studiotür. Ich öffne sie einen Spalt und stecke den Kopf durch. »Was hast du hier verloren?«, herrsche ich Daniel an.
»Ich dachte, ich schaue meiner Herrin ein wenig
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