Extra scha(r)f
blutüberströmt ist. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass Karl ein mieses Schwein ist, und solange ich mir darüber nicht im Klaren bin, möchte ich auf keinen Fall wie eine liebeskranke Idiotin an seinem Krankenhausbett sitzen, bis er wieder zu sich kommt. Aber einer von uns muss mitfahren, und wenn auch nur, um Karl, wenn er das Bewusstsein wiedererlangt, davon zu überzeugen, uns nicht zu verklagen. Wir werden schon genug Probleme mit Blaize bekommen, die den Eindruck machte, als wolle sie uns auf jeden Fall verklagen.
Oh Gott, was soll ich bloß tun?
»Geh schon, Charlie«, ermuntert Daniel mich. »Wir wissen doch, dass du es willst.«
»Also gut, ich melde mich, wenn ich im Krankenhaus bin«, sage ich und renne den Sanitätern hinterher.
Aber ich habe zu lange gezögert, die Sanitäter sind bereits weg. Ich renne zu dem Fenster am Ende des Flurs und schaue auf die Straße hinunter. Einer der Sanitäter schlägt gerade die hintere Tür zu, und das Blaulicht blitzt auf. Ich sehe ihnen nach, wie sie mit heulenden Sirenen davonrasen.
Es ist doch nicht zu fassen! Karl ist das Herz und die Seele von Blaizes Tanzensemble, und jetzt kümmert sich keiner um ihn. Dabei dachte er, Blaize und er wären dicke Freunde. Ich hingegen finde, das Blaizes mangelnde Anteilnahme deutlich gezeigt hat, dass zwischen den beiden bestenfalls ein Strohfeuer lodert. Ich verspüre ein klein wenig Erleichterung. Vielleicht hatten Karl und Blaize überhaupt nichts miteinander. Vielleicht habe ich Karl falsch verstanden, und sein Verhältnis zu Blaize ist rein platonisch. Der arme Karl. Ich habe in ihm schon eine Art Monster gesehen.
Ich kehre in den Tanzsaal zurück, wo Daniel die glänzende Blutlache auf dem Boden betrachtet.
»Zu spät, der Krankenwagen ist schon weg«, sage ich.
»Macht nichts. Er ist in guten Händen. Ich wische das hier mal auf.«
In der Ecke erspähe ich eine schwarze Sporttasche aus Leder - sie gehört Karl. Ich hebe sie auf und nehme sie mit nach unten, um sie in meinem Büro aufzubewahren. Das mache ich natürlich aus reiner Professionalität und nicht aus purer Neugier, um in Karls Sachen herumzuschnüffeln.
Ich bin zu Fuß nach Covent Garden unterwegs. Normalerweise würde ich mit der U-Bahn fahren, auch wenn es nur zwei Haltestellen von der Arbeit aus sind, aber ich brauche heute Abend die Bewegung und die frische Luft (falls man davon in London sprechen kann), um mich wieder zu beruhigen und diesen schrecklichen Tag zu verdrängen.
Eine halbe Stunde, bevor ich ging, kehrte Jenna ins Studio zurück. Wie schlimm der Schock auch sein mochte, den sie erlitten hatte, sie ist ein echter Profi und muss schließlich ihren Kurs geben. Sie sagte keinen Ton zu mir. Stattdessen wandte sie sich mit lauter Stimme an Daniel: »Süßer, könntest du mein Studio checken? Ich will nämlich nicht riskieren, dass wieder irgendetwas von der Wand fällt.«
Ich finde es zwar schlimm, was mit Karl passiert ist, aber trotzdem fühle ich mich nicht persönlich dafür verantwortlich. Okay, vielleicht hätte ich den verzerrt klingenden Lautsprecher überprüfen lassen sollen. Aber die Lautsprecher sind nicht dazu da, dass große, athletische Tänzer hochspringen und dagegen schlagen. Das kann ja nur ins Auge gehen ... wie man gesehen hat.
Bevor ich The Zone verließ, rief ich im Krankenhaus an, erhielt jedoch keine Auskunft, weil ich nicht mit Karl verwandt bin. »Können Sie mir wenigstens sagen, ob er wieder zu sich gekommen ist?«, fragte ich die Schwester.
»Tut mir Leid, Madam, aber ich darf Ihnen keinerlei Auskunft geben«, entgegnete sie, so wie man es von Personen an einem Informationsschalter kennt.
»Also gut, Sie brauchen kein Wort zu sagen«, erwiderte ich. »Husten Sie einfach zweimal, wenn er wieder bei Bewusstsein ist.«
Daraufhin legte sie auf.
Inzwischen habe ich mein Ziel, The Dome auf Long Acre, erreicht. Ich wollte mich mit Sasha nicht schon wieder im Billy‘s treffen - eine Kneipe voller bekannter Gesichter ist nicht der richtige Ort für ein so heikles Gespräch. Ich bin zehn Minuten zu spät, aber natürlich ist Sasha noch nicht da - verglichen mit Sasha ist jeder Grieche pünktlich. Ich setze mich an einen Tisch vor dem großen Fenster zur Straße hinaus und bestelle zwei Bier. Ich habe Bammel vor dem Gespräch.
Bevor ich ging, sah ich Karls Sporttasche durch - auf der Suche nach irgendwelchen Anhaltspunkten aber vergebens. Weder fand ich einen Zettel, auf den Sashas Nummer gekritzelt war,
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