Extraleben - Trilogie
Ausnahmsweise bin ich dran, den Rechner zum großen Showdown rumzudrehen. Mit versteinertem Gesicht überfliegt der Beifahrer die Zeilen.
»Kuala Lumpur?«
Mehr bringt er nicht raus.
»Ja, wir sollen da unten in lrvings Wohnung die fehlenden Informationen beschaffen; die genaue Adresse schickt er noch.«
Am Anfang und am Ende von »Informationen« male ich mit den Fingern kleine Anführungszeichen in die Luft. Eine bescheuerte Geste, mit der mich Andie infiziert hat. Die Angestellten-Seele auf der anderen Seite des Tisches fängt langsam an zu sieden: »Aber wir sind doch kein Kurierdienst oder eine Detektei oder sonst was!«
Nick hat sein Brötchen beiseite gelegt, meinen Rechner ganz zu sich rübergezogen und liest Johns Nachricht nochmal, als ob sich dadurch irgendwas ändern würde. Alle paar Zeilen schüttelt er ungläubig den Kopf. Den Rest des Frühstücks verbringt er damit, rumzuzetern, was für ein totaler Schwachsinn das sei und ob die Datacorp da unten nicht jemand habe, der diese Lakaienarbeit erledigen könne, und so weiter. Ich höre gar nicht mehr zu, sondern beschäftige mich lieber mit dem erfreulichen Kern von Johns Nachricht: Transportation will be provided by Jeppesen. Das bedeutet, ein konspiratives Telefonat mit Andie steht an.
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Sie hat definitiv einen im Tee.
»Hi, Kee, Darling! I'm so happy ...«
Definitiv. Wahrscheinlich hat sie um zehn angefangen, sich Erdbeer-Daiquiris oder andere bunte Cocktails zu mixen - nein: aus einer Fertigflasche einzuschütten; dazu wurden höchstwahrscheinlich ein paar Duftkerzen angezündet. Im Hintergrund umpft frauenkompatible House-Musik vor sich hin, also Stücke, bei denen auch ab und zu gesungen wird. Ob sie alleine ist? Geweckt habe ich sie jedenfalls nicht, dafür war sie zu schnell dran. Dabei ist es in Washington schon ein Uhr nachts. Ich haspele eine Minute vor mich hin, um ihr die Lage zu erklären.
»Malaysia? Sounds great. Give me a second.«
Das dumpfe Tapsen von bestrumpften Füßen auf Holzfußboden entfernt sich. Man denkt ja immer, Superfrauen wie Andie würden rund um die Uhr auf Highheels rumstöckeln - auch zuhause. Doch das stimmt nicht. Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, trägt sie dicke Norwegersocken mit solchen Gumminoppen drunter, die verhindern sollen, dass man ausrutscht. Wunsch ungleich Wirklichkeit. Deshalb ist die einzig perfekte Frau auch nur so eine, die man niemals richtig kennen lernt. Ach was, die man nicht mal anspricht, sondern nur aus der Entfernung genießt. Denn mit jedem Schritt, den man sich ihr nähert, wird sie zwangsläufig entzaubert. Dann entdeckt man die Stoppersocken unterm Bett oder die Hornhautraspel im Badezimmerschrank. So gesehen haben Nick und ich etliche äußerst perfekte Beziehungen hinter uns.
»Ooookay!«
Andie ist wieder dran. Jetzt sitzt sie sicher mit ihrem Rechner auf dem Schoß da und klickert mit ihren Krallen auf die Tastatur ein. Eingebildete Kleidung: Spagetti-Top und knapper Seiden-Panty. Tatsächliche Kleidung wahrscheinlich: dieser ausgewaschene Fleecepulli mit dem Logo ihrer tollen Studentenverbindung drauf.
»Are you travelling with ... what was his name again?«, flötet sie durch die transatlantische Leitung. Da ist es wieder, das berühmte Andrew-Ridgeley-Syndrom: Jeder weiß, dass er dabei war, aber niemand kann sich an seinen Namen erinnern. An dieser Krankheit leiden wir beide, oder besser gesagt, die Umwelt. Unsere Namen löschen sich schneller aus den Hirnen der Menschen als die Geheimanweisungen in »Mission Impossible«, Wir hinterlassen eben keinen besonders bleibenden Eindruck. Das merkt man zum Beispiel daran, dass im Fitness-Studio die gleichen Leute innerhalb von einer Stunde dreimal ein »Hey, alles klar?« rüberrufen - eben weil sie sich einfach nicht mehr daran erinnern können, dass sie einen schon mal begrüßt haben. Ich buchstabiere Nicks Namen.
»Alright.«
Weiteres Geklicker, ein neues Stück aus der Anlage. Schock! Kann das sein, ist es womöglich ... Keith Sweat? Auf jeden Fall irgendeine R'n'B-Sülze, bei der der Sänger über die Akkorde hinweg sehr intensiv spricht. So à la »Lady, you know that I love you«.
Ultimative Cheesyness.
»Okay, I'll put you on the flight ...«, Andie gibt professionell die Reisedaten durch. Ich notiere sie mir auf dem Notizblock, der neben dem Bett liegt. Nick wird nachher die restlichen Seiten - wie immer - zerreißen, weil er in irgendeinem Spionagefilm gesehen hat, dass sich die Buchstaben auf die
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