Extraleben - Trilogie
Namen und ein paar Zahlen war nur Datenmüll im Magnetblasenspeicher. Nein, wenn der wirklich eine große Sensation in der Hinterhand hatte, dann liegen die Informationen sicher woanders. Irgendwo auf einer Fünfeinviertel-Zoll-Diskette am anderen Ende der Welt vielleicht. Im Rechner sind sie jedenfalls nicht. Weißt du, was ich glaube? Wer immer den Grid der Datacorp gegeben hat, hat einfach vergessen, Irvings Diskettensammlung samt passendem Laufwerk - gab's als Zubehör - mitzuliefern.«
Er macht eine lange Pause.
»Unser Job ist jedenfalls erledigt - und sie haben meinen Garten umsonst verwanzt.«
Es ist das erste Mal seit gestern Abend, dass er die Sache nochmal erwähnt. Was aber nicht heißt, dass er nicht darüber nachgedacht hat. Im Gegenteil: Er hat mit Sicherheit in jeder wachen Sekunde alle mögliche Täterprofile und -motive durchgespielt. Bei ihm laufen ständig Dutzende von Threads im Kopf ab, nur dass man normalerweise nichts davon merkt.
»Wer, glaubst du, sind sie?«
»Keine Ahnung. Konkurrenz, Industriespione, Drogenhändler. Wir wissen ja nicht, womit sich Irving so beschäftigt hat in den letzten Jahren.«
Mit einem Tag Abstand erscheint mir die Idee, von einer geheimen Macht observiert zu werden, abstruser als je zuvor. Deshalb binde ich das Thema mit einem geschäftsmäßigen »wahrscheinlich « ab. Bleibt die Frage, was wir mit dem hoch brennbaren Elektroschrott in unserem Zimmer machen. Überhaupt breitet sich ein unangenehmes was nun? im Raum aus. Und was tun zwei brave Angestellte in so einem Moment? Sie schicken eine Aktennotiz an den Chef natürlich! Ich befreie meinen Dienstrechner aus dem T-Shirt-Knäuel in der Ecke und schalte ihn an. Morgen ist Sonntag, spätestens Montag müssen wir echt neue Klamotten einkaufen gehen. Aber so, wie es aussieht, geht unsere Flucht ohnehin bald zu Ende und Dr. Kimble darf zurück in sein Dorint.
»Dann schicke ich John mal die Daten und frage ihn, wo wir den Grid abgeben sollen, oder?«
Der Beifahrer nickt. Ich klinke mich abhörsicher ins Datacorp Secure Network ein; für einige Sekunden blitzt die übliche Begrüßungsmeldung auf, weiß auf schwarz: WELCOMETODATACORP Dann fährt das Terminalprogramm hoch und das System erwartet meine Eingabe.
»w«
Klick - »h«
Klick - »0«
Klick. Nicks Dienstrechner erscheint im Netzwerk. Ich kopiere mir die Daten rüber, die wir aus dem Grid ausgelesen haben, und tippe Johns Adresse ins Nachrichtenfeld ein. Noch ein paar warme Zeilen als Anschreiben, um die Form zu wahren. Wie schreibt man das auf Englisch am besten? Egal. John interessieren ohnehin nur die Daten. How are we supposed to proceed? Wie sollen wir jetzt weiter vorgehen? Senden. Die Netzwerk-LED flackert. Zum ersten Mal, seit wir vor ihnen weggerannt sind, brechen wir die Funkstille.
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Fuck - können die ihre Dreckskoffer nicht tragen? Durch den kleinen Spalt unter der Zimmertür dröhnt das Quietschen der Rollenkoffer. Klingt nach einer halben holländischen Fußballmannschaft. Das dumpfe Quietschen, Schleifen und Lachen hört überhaupt nicht auf. Von so einem Scheiß ist man doch früher nicht wach geworden. Die Rockerweisheit stimmt wohl doch: If it's too loud, you're too old. Wenn's dir zu laut ist, bist du zu alt. Vielleicht hilft es ja, den Klamottenberg unten an die Tür ranzuschieben? Also aufstehen, rumtasten, stopfen. Kein Erfolg. Die Schrottpresse auf dem Gang wummert mit unverminderter Lautstärke weiter. Uhrzeit - was, schon fast vier? In spätestens drei Stunden springt Nick aus dem Bett und bläst scheißgut gelaunt zum Morgenappell. Also schnell wieder schlafen. Ich wanke an den halb geöffneten Vorhängen vorbei. Direkt neben einem Seiteneingang des Baumarkts steht ein Kombi mit laufendem Motor; der Innenraum glimmt wie eine Martinslaterne. Stehen die Leute etwa so früh auf, um irgendwelche Mörtel-Schnäppchen abzugreifen? Nein, wird sicher Personal sein, oder ein Wachdienst, oder Aushilfen, die Zeug in die Regale räumen.
» Verräumen, sagt der Profi«, würde Nick an dieser Stelle verbessern. Seit ihm ein Haus gehört, versteht er nämlich sehr viel von der etwas anderen »Hardware« - von Werkzeugen und Baubedarf. Er hat viele tolle neue Worte gelernt, die er zu jeder Gelegenheit mit der Welt teilt: mein Flachspül-WC, mein flächenbündiges Kochfeld, meine rektifizierten Fliesen. Und wehe, man fragt nach: Dann serviert er eine Erläuterung zu den Vorteilen eines Flachspül-WCs gegenüber einem, keine Ahnung,
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