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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Stahlblech, von dem einmal Telefonbücher runterbaumelten. Leere Telefonzellen - ein weiteres Zeichen der Zeit. Sign o' the Times. Großartiges Video von Prince übrigens, alles in der Schriftart Times gesetzt, natürlich. Einer von den Clips, die Lichtjahre besser waren als der Song selbst, so wie »Stay The Night« von Chicago, da, wo Cetera die ganzen Stunts macht. Die Anmoderation von Stefanie Tücking bei »Formel Eins« habe ich heute noch im Ohr. Wie Kamele, die sich um ein Wasserloch zusammenrotten, quetschen wir uns in den Minischatten, den die Telefonzelle wirft, und versuchen, nachzudenken. Sollen wir weitersuchen, oder gibt Nick endlich seine Fernsprechpläne auf? Das Sonnenlicht brennt seitlich durch die Fenster der Zelle und bricht sich in den Blasen, die die Leute mit ihren Kippen ins Plexiglas gebrannt haben. Nick kickt unmotiviert ein paar Schottersteinchen weg, natürlich ganz vorsichtig, damit seine guten Lederschuhe nicht kaputtgehen. Er rechnet wohl damit, bald wieder zu einem Bewerbungsgespräch antreten zu müssen.
    »Ist das nicht schlimm?«, nuschelt er. Stop -Jammer-Time! In meinem Kopf dudelt unweigerlich der Loop von »Hammertime« los. Kein Zweifel, der Beifahrer legt gleich eine seiner gefürchteten Minuten-Depressionen ein.
    »Was ist schlimm?«, erkundige ich mich. Nick zuckt mit den Schultern.
    »Na, dass alle Sachen, mit denen wir groß geworden sind, langsam verschwinden: Telefonzellen, Straßenkarten, Fotoalben, Kassetten ... «
    »... Neonschilder, Blitzwürfel, Testbilder, Lexika«, ergänze ich. Vielleicht geht sein Nostalgieanfall ja schneller vorbei, wenn ich ihm helfe, die Liste zu komplettieren?
    »Genau.«
    Der Beifahrer lässt seinen Kopf noch weiter nach unten sacken, reißt ihn dann aber plötzlich hoch, wie immer, wenn ihm was eingefallen ist.
    »Weißt du, was das Aller-aller-aller-Albernste ist?«
    Er zielt mit dem Zeigefinger pistolenmäßig auf mich.
    »Nö.«
    »Wenn die Kids heutzutage im Konzert bei einer Ballade ihre Telefone hochhalten anstatt eines Feuerzeugs. Das finde ich maximal albern. Das sind so die Momente, in denen ich das Gefühl habe, auf einem fremden Planeten zu leben.«
    Tiefer Seufzer, sein Kopf fällt wieder auf die Brust zurück.
    »Ständig muss man dabei zugucken, wie Sachen, ohne die man früher nicht leben konnte, einfach so verschwinden, abgebaut werden.«
    Oha, jetzt kommt der Herr mal wieder richtig in Schwung. Stolz, als wollte er Modell für eine Marmorbüste stehen, reckt Nick das Kinn Richtung Highway, blickt versonnen in die Ferne und bindet sein Retro-Klagelied mit maximalem Pathos ab: »Wir sind die erste Generation, die ihre eigene Archäologie erlebt.«
    Genug. Weißte was, Alter? Ich hab die Schnauze voll von dem Gesülze. Es ist bekackt heiß, mein Kopf brummt, weil wir kaum noch pennen. Meine Augen brennen, weil ich den Straßenrand nach Kameras und Cops oder Wem-auch-immer abscannen muss und du nudelst hier das ewig gleiche Früher-war-alles-besserBand ab. Irgendwann reicht es.
    »Mal im Ernst, Alter«, gifte ich rüber, »wie oft hast du wirklich in einer Telefonzelle telefoniert?«
    Erschrocken zuckt der Beifahrer zusammen.
    »Weiß nich. Zwei-oder dreimal?«, tastet er sich vor.
    »Genau! Weil entweder keine in der Nähe war, wenn man sie brauchte, oder weils da drin derart nach Pisse gestunken hat, dass man direkt wieder rückwärts rausgekippt ist. Niemand, ich wiederhole, niemand vermisst eine Telefonzelle wirklich. Genauso wenig wie jemand heute noch ein Testbild sehen will, das war doch nichts als faschistoide Unterhaltungsverhinderung. Außerdem habe ich auch keinen Bock mehr, eine halbe Ewigkeit im Brockhaus zu blättern, weil mir nie einfällt, ob >P< vor oder nach >S< kommt. Und erst diese verfickten Falk-Pläne, die man zwar immer auseinander-, aber nie wieder zusammengefaltet bekam - hör doch auf! Dem ganzen Scheiß weint doch niemand wirklich eine Träne nach. Es ist doch so, Alter: In Wirklichkeit war doch früher kaum was besser - außer uns selbst vielleicht!«
    Nick stolpert nach hinten, sodass er zur Hälfte in der von ihm so gehassten Sonne steht. Dabei schaut er bedröppelt wie ein Hund, der gerade von seinem Herrchen auf dem Schotterplatz neben der Straße ausgesetzt wurde. Okay, war vielleicht 'n bisschen dick aufgetragen, aber es musste mal raus. Bewegungslos starrt mich Nick an. Angeblich reicht es ja aus, einem anderen Menschen drei Sekunden lang in die Augen zu sehen, um seine Seele zu erreichen.

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