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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Diese Sekunden können verdammt lang sein, wenn es dein bester Kumpel ist. Durch seine Pupillen rasen die Daten zu mir rüber: Wie konntest du nur die Sache verraten? Was fällt dir ein, alles infrage zu stellen, was uns seit einem Vierteljahrhundert verbindet? War es nicht immer schön, das ganze Retro-Geschraube? War es nicht zutiefst erfüllend, das Schrift-ROM vom Cevi zu sockeln, damit alles in altdeutscher Schrift erscheint? Seine Augenlider flackern. Keine Frage, gleich wird er zum thermonuklearen Gegenschlag ausholen. Drei, zwei, eins ... Was ist das? Anstatt aus allen Rohren zurückzufeuern, wendet er sich ab und schlorrt zurück zum Wagen.
    »Lass mal weitersuchen«, murmelt er, ohne sich umzudrehen. Vielleicht ist es wirklich zu heiß.

#27 T-3: 16:29
    Sandwich Artist. Die Buchstaben aus weißem Garn leuchten auf dem dunkelgrünen Polohemd. Eigentlich müsste der Bursche Größe S tragen, doch die Firma hatte wohl nur noch XL da, deshalb schlackert der Stoff um den klapperigen Teenagerkörper wie eine Fahne im Wind. Sandwich Artist. Oha, hier haben wir es also nicht nur mit einer Aushilfe zu tun, die für einen Mindestlohn Stullen schmiert, sondern mit einem wahren Künstler.
    »Footlong or six inch?«, leiert der Imbiss-Kunstschaffende wie eine Sprachbox runter. Die schwarzen Spitzen an seinen naturroten Haaren zeugen von einem fehlgeschlagenen Färbe-Experiment. Er ist höchstens siebzehn und steckt in dieser Phase, in der man sich vor der Welt und seiner eigenen Existenz besonders doll ekelt - was verständlich ist, wenn man sich die Aknekrater auf seinen bleichen Wangen anschaut. Früher hätten wir ihn bestimmt in die Schublade »Goth« gepackt, die bei unseren Eltern immer »Grufti« hieß. Aber solche Jugendkulturen gibt's ja angeblich nicht mehr, bis auf »Emo« oder so. Bei uns damals auf dem Schulhof, da war die Sache noch kompliziert: Da gab's zum Beispiel die Mods mit ihren Parkas, ein paar versprengte Punks und die Skins -natürlich keine dumpfen Faschos, sondern die echten Skins nach britischem Vorbild. Mit der Gruppe stylemäßig verwandt waren die Ska-Fans in ihren karierten Jacken, die auf der Schuldisco zu Madness immer so lustig getanzt haben. Am Retro-Ende standen die Psychobillys und Rockabillys. Die machten auf Fünfziger, mit hoch aufgetürmter Haartolle und amerikanischer Collegejacke. Von denen meinte Nicks Dad, sie sähen aus wie diese »Proleten in seiner Jugend«, die Peter Kraus gehört hatten. Jede Gruppe igelte sich mit ihren Klamotten und ihrer Musik ein, und wer sich nicht akribisch an den Codex hielt, wurde als »Pseudo« beschimpft und weggebissen. Da reichte es schon, gelbe statt weiße Schnürsenkel zu haben, und schon gab's was auf die Fresse. Diese - an sich ziemlich alberne -Schulhof-Kastenbildung wurde immer granularer und endete mit den »HeimatWavern«, die zu ihren Doc Martens bayerische Jankerl aus der CDU-Kleiderstube trugen - und trotzdem die Smiths hörten.
    »Footlong - wheat!«, antworte ich dem kleinen Grufti und erspare ihm so direkt die nächste Frage, die er an dieser Stelle des Kundengesprächs stellen muss. Ein 30-Zentimeter-Sandwich, Weizenbrot, bitte. Der Künstler zwängt seine Spinnenfinger widerwillig in ein paar Einmal-Handschuhe und schneidet das Brot längs und quer durch. Dann schubst er es einen halben Meter weiter zur Belagtheke, klatscht zwei Stapel Truthahn-Aufschnitt ins Pappbrötchen und schaut mich erwartungsvoll an.
    »Cheese?«
    »No cheese, no mayo«, instruiere ich ihn, so, wie das jeder Mensch tut, der a) über 30 ist und b) keinen amerikanischen Pass hat. Wer als Landesfremder an diesem Punkt nämlich nicht aufpasst, ist bald so fett wie die Gäste in Talkshows, die um die Mittagszeit ausgestrahlt werden. Pling-plang-plong. Der elektronische Dreiklanggong an der Ladentür wimmert los, verendet aber schon nach dem zweiten Ton jämmerlich. Ah, der gute alte SAB600 IC. Gibt es einen Winkel der Welt, wo der keine Hörnerven malträtiert? Nick steckt sein glühendes Gesicht durch die Tür, dabei spreizt er stolz den Daumen zum »Alles OK«-Zeichen in die Luft. Na also, alles wieder gut, Alter. Japsend stolpert er an den gelben Plastikbänken im Essbereich vorbei und baut sich neben mir vor der Theke auf. Obwohl es kurz nach zwölf ist, sind wir die einzigen Kunden. Gierig saugt der Beifahrer einen Zug eiskalte klimatisierte Luft ein und pustet sie wieder raus. Seit Kurzem ein echter Luxus.
    »Alles klar. Keine

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