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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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der Jahreszeiten mit seinem Wechsel von Tag und Nacht ist den Menschen seit Jahrtausenden bekannt. Dieser Struktur entspricht unsere innere Uhr. Biologen bezeichnen sie im Fachjargon als „circadianen Rhythmus“. „Circa“ ist lateinisch und bedeutet „ungefähr“, und „dies“ ist der Tag – denn das Maß für diesen Rhythmus ist die ungefähre Länge eines Tages. Gemeint sind biochemische Vorgänge, mit denen der Körper sich an die Gegebenheiten von Tagund Nacht anpasst. Es geschieht vornehmlich im sogenannten Nucleus suprachiasmaticus (SCN): in zwei Nervenzellhaufen, die sich im Gehirn oberhalb der Kreuzung des Sehnervs befinden, ca. zwei Zentimeter hinter den Augen. Sie steuern die mit unserem Biorhythmus verbundenen Vorgänge wie den Schlaf-Wach-Rhythmus und die damit einhergehenden Schwankungen unserer Körpertemperatur und des Hormonhaushalts. Außerdem ist die Epiphyse, auch Zirbeldrüse genannt, an der Steuerung der inneren Uhr beteiligt. Sie befindet sich im Zwischenhirn und schüttet in einem 24-Stunden-Rhythmus Melatonin aus, ein Hormon, das wir benötigen, um schlafen zu können. Angeregt wird die Abgabe des Melatonins über das Auge, und zwar dann, wenn es dunkel ist. Der Einfall von Licht stoppt die Ausschüttung von Melatonin und kann deshalb unseren Schlaf empfindlich stören. Wie sehr unsere innere Uhr in der Tat auch vom Faktor Licht abhängt, wurde unlängst in einer Studie deutlich: Da die Sonne im äußeren Osten Deutschlands eine halbe Stunde früher aufgeht als im tiefen Westen, stehen die Menschen dort im Schnitt eine halbe Stunde früher auf.
    Davon abgesehen ist die innere Uhr bei jedem Menschen individuell justiert. Der sogenannte Chronotyp wird von den Genen bestimmt – es ist also nicht etwa eine Frage der Gewöhnung, sondern biologisch festgelegt, wie die biologischen und physiologischen Prozesse im Wach-Schlaf-Zyklus einer Person ausfallen. Diese Erkenntnis hat für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft weitreichende Folgen. Schon in der Schule sind Kinder benachteiligt, die der Stundenplan zwingt, entgegen ihrem natürlichen Biorhythmus früh aufzustehen. Davon ist mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung betroffen. Diese Ungerechtigkeit setzt sich im Berufsleben fort. Menschen, derenArbeitszeiten der inneren Biouhr zuwiderlaufen, befinden sich im sogenannten „sozialen Jetlag“ mit entsprechenden Folgen für die Gesundheit. Sie führen einen ständigen Kampf gegen ihren Körper, sind müde, wenn ihnen Konzentration und Leistung abverlangt werden, und hellwach in den Stunden, die sie für den zur Regeneration notwendigen Schlaf nutzen sollten. Inzwischen haben Chronobiologen herausgefunden, dass diese Personen erheblich häufiger zu Kaffee, Nikotin und Alkohol greifen. Das einzig wirksame Mittel gegen die Symptome des sozialen Jetlags bestünde jedoch darin, den Lebensrhythmus zu ändern. Denn inzwischen herrscht die Lehrmeinung vor, dass die innere Uhr nahezu unbeeinflussbar ist – Lerchen und Eulen lassen sich nicht umerziehen!
Hirngespinste
    Während die Mechanik der inneren Uhr in Form des circadianen Rhythmus inzwischen recht gut beschrieben ist, können Hirnforscher nach wie vor wenig darüber sagen, wie unser Zeitempfinden im Detail zustande kommt. Eine Erkenntnis ihrer Untersuchungen über den Zeitsinn lautet, dass es ihn nicht gibt: Anders als die meisten Sinne, denen visuelle, akustische und andere Reizen eindeutig zugeordnet werden können, gibt es offensichtlich kein Organ, das für das Zeitempfinden verantwortlich ist. Manche Wissenschaftler halten unsere Zeitwahrnehmung deshalb tatsächlich für „Hirngespinste“: Wir konstruieren das Zeitbewusstsein, indem wir Eindrücke, die auf uns einströmen, aneinanderreihen und ordnen – Vorgänge, an denen in erster Linie unsere Wahrnehmung, unsere Aufmerksamkeit und das Gedächtnis beteiligt sind.
    Zunächst besteht die Aufgabe für das Gehirn darin, die unterschiedlichen Informationen, die unsere Sinne liefern, zu einem einheitlichen Eindruck zu synchronisieren. Wenn wir etwas essen oder einem Ballspiel zusehen, nehmen wir alle damit verbundenen Eindrücke gleichzeitig wahr. Die zugrunde liegenden Daten erreichen uns jedoch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Schall ist langsamer als Licht, und bis wir Aromen, Geschmäcke und Gerüche wahrnehmen, dauert es noch länger. Ihre Synchronisierung bewerkstelligt das Gehirn auf verschiedenen Ebenen. Zum einen kann es akustische Signale vierzig Millisekunden

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