Fähigkeiten unbekannt
dran, über das nächste Visiphon einen Arzt aus der benachbarten Psychiatrie zu rufen.
Hannibal begann plötzlich graziös zu tänzeln. Unendlich gelangweilt, mit zierlich gespreizten Fingern, zog er eine Dose aus der Tasche und ließ den Deckel aufspringen. Sie enthielt dunkles Pulver, das er mit affektiert wirkenden Bewegungen zur Nase führte.
Den Clou bildete ein zartes Spitzentüchlein. Die Lippen betupfte er mit der weibisch wirkenden Grazie eines Stutzers. Das nachfolgende Grinsen paßte überhaupt nicht dazu.
»Hat man dir bei einem Experiment die Gallenblase ins Großgehirn verpflanzt?« erkundigte ich mich höflich. »Du erscheinst mir etwas angegriffen.«
»Ei der Daus, was ficht Euch an?«
Da langte es. Entweder war der Zwerg wirklich wahnsinnig geworden, oder er hatte wieder seine berühmte Zermürbungstaktik gewählt. Hannibal hatte eine skurrile Art an sich, seine geplagten Mitmenschen mit den Gegebenheiten des Lebens vertraut zu machen.
Ich war nun ernstlich wütend und ging langsam auf ihn zu. Erst, als ich dicht vor ihm stand, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Kapieren und kapieren ist zweierlei«, sagte er auffallend leise. »Ich werde vor Freude weinen, wenn sie dich ebenfalls in den Lehrgang schicken. Meine anfänglichen Verrenkungen sind übrigens identisch mit der Ehrenbezeugung eines preußischen Soldaten, und die Adligen der damaligen Epoche betupften sich genauso geziert die Lippen, wie ich es eben vorgeführt habe. ›Höfische Manieren‹ sagte man dazu. Und der Begriff ›ei der Daus‹ war zu jener Zeit ein noch gesellschaftsfähiger Kraftausdruck, den man in Männerkreisen ohne weiteres aussprechen konnte.«
Ich drehte mich wortlos um und setzte mich. Hannibals Worte hatten mich wieder an das Gemälde von der Schlacht bei Austerlitz erinnert.
Hatte Prozessor Goldstein tatsächlich dis Wahrheit gesprochen? Alles deutete darauf hin.
Hannibal musterte mich ironisch.
»Was geht hier vor?« fragte ich, als ich seinen Blick bemerkte. »Es wird Zeit, daß man mir einiges erklärt.«
»Wir haben noch zehn Minuten Zeit. Das Skelett ist eben erst angekommen.«
»Fängst du schon wieder an?« In meiner Stimme schwang ein warnender Unterton mit.
»Ich werde überhaupt nicht mehr aufhören. Hat dir Goldstein die Funktion der Würfelmaschine erklärt?«
»Ich glaube kein Wort. Eine absurde Theorie. Ich wollte ihm nur nicht weh tun.«
»Du hast dir selbst wehgetan. Goldstein ist ein Genie, laß dir das gesagt sein. Wahrscheinlich der größte Mathematiker nach Albert Einstein, vielleicht sogar noch bedeutender. Das Gesetz über die Energie der Zeit ist inzwischen bewiesen. Das ›Gedächtnis‹ hat es in dreiwöchiger Arbeit durchgerechnet. Als Grundlagen dienten Goldsteins Ergebnisse. Die Schlüsselgleichungen hat Scheuning auf dem Mond entdeckt. Sie stammen aus dem marsianischen Archiv. Die Mathematik des Roten Planeten ist kein Geheimnis mehr, wenigstens nicht in dieser Beziehung. Die Riesenmaschinen überwinden die Zeitmauer mit der gleichen Präzision, wie du mit einem Raumjäger die Schallmauer. Einige Leute haben das schon früher gewußt. Wir sind augenblicklich damit beschäftigt, einwandfrei nachzuweisen, daß die Technik des Jahres 2005 bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts angewandt wurde. Was ist daraus zu folgern?«
Ich hatte ihn nur einmal so ernst sprechen hören. Das war auf dem Mond, als man uns als überfällig eingestuft hatte.
Ich blickte ihn wortlos an. Der Kleine trieb keinen seiner Scherze, das stand fest.
»Du hüllst dich in Unglauben Okay, mir erging es nicht anders. Der Alte zweifelt noch stärker, und doch hat er die ganze Welt in Aufruhr versetzt.
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