Fänger, gefangen: Roman
sie sich mal selbst sagen. »Tut mir leid, Effie. Ich hab nur Panik bekommen.«
Der Verkäufer, der aussieht wie ein Junge in meinem Spanischkurs letztes Halbjahr, nur dass er größer ist und mehr Akne hat, gibt mir aus seiner hinteren Hosentasche einen Lappen. »Wasser?«, fragt er.
»Das wär prima.« Ich verdrehe die Augen und er auch. Mütter.
Wieder zurück auf dem Boot biete ich ihr an, die Sachen aus dem Auto zu räumen, aber Mom besteht darauf, dass ich mich hinlege. Dann höre ich aus der Kombüse die Handytasten piepsen und weiß, dass sie die Heilpraktikerin anruft, um vom neuesten Vorfall zu berichten. Ich bin nicht der beste Patient, den sie je hatten, aber ich halte sie auf Trab.
»Hier, Schätzchen, trink das.« Mom gibt mir einen Becher, über dem sich Dampf kräuselt. Draußen sind fast vierzig Grad, und sie will mich mit Heißgetränken aufpäppeln.
Ich schnuppere. »Bäh.«
»Misty sagt, ein Lavendelaufguss hilft gegen Krämpfe.«
»Mein Magen tut aber nicht mehr weh.«
»Sie meint, es verhindert auch neue Krämpfe.«
»Weiß sie denn, was sie hervorruft? Das wär vielleicht ein besserer Ansatz.«
»Daniel, hör auf damit. Misty hat viele Krebspatienten.«
»Ja, aber leben davon noch welche als Referenz für Mistys Heilmethoden?«Später höre ich, wie sie am Telefon weint. Misty Underwood, der Leonard Yowell in einem seiner helleren Momente den Spitznamen Miss T. Undertaker – also Bestatterin – verpasst hat, ist bei derartigen Zusammenbrüchen als Zuhörerin am besten geeignet. Wenn sie allein ist, hat Mom nah am Wasser gebaut, wobei ich das vor diesem Sommer nicht großartig bemerkt habe. Dad ist am Flughafen von Richmond, auf dem Weg zu einer Präsentation bei seinem größten Kunden, einem Schulbuchverlag in Chicago.
Nick steht in der Tür zu unserer Kajüte, den stets präsenten Fußball gegen die Hüfte gestemmt.
Er guckt mich böse an. »Toll gemacht. Mom ist völlig durch den Wind.«
»Das war keine Absicht, okay? Blödmann.«
»Wie auch immer«, sagt Nick. »Aber warum machst du das jedes Mal, wenn Dad nicht da ist?«
»Ich mache das nicht.
Es
macht das.« Ich werfe das Buch, das ich gerade lese, in seine Richtung. Er duckt sich, und es schlittert übers Deck bis zum Bootsrand und fällt in den Fluss.
»Das ist ein Büchereibuch«, rufe ich und versuche aufzustehen, aber mein Magen lässt mich nicht.
Nick kickt seine Schuhe weg, klettert über die Reling und springt mit perfekter Arschbombe ins Wasser, dass alles spritzt. Als er wieder auftaucht, hält er das Buch über dem Kopf. »Und der Gewinner ist ...«
Es ist unmöglich, nicht zu lachen. HC kriegt ein unerwartetes Vollbad. Das würde ihm gefallen. Wenn die Bücherei das Buch nicht zurücknimmt, muss ich es zwar bezahlen, aber wenigstens hab ich dann meine eigene Ausgabe. Sogar schon unterstrichen.
Ihren ersten Zusammenbruch hatte Mom im Juli, als sie rausfand, dass die Arzthelferin unseres Hausarztes das mit der Leukämie Macks Mutter gesteckt hatte. Und Mrs Petriano ist eine Klatschtante, was es noch schlimmer machte. Die Essex-County-Gerüchteküche vom Feinsten.Durch die Wand konnte ich hören, wie meine Eltern sich stritten. Hausboote sind nicht für Privatsphäre gebaut.
»Sylvie«, sprach Dad mit viel Geduld in der Stimme, was die Worte geschmeidiger machte. »Du kannst es nicht ewig geheim halten.«
Damit ließ sich Mom allerdings nicht besänftigen. »Sie könnten uns wenigstens Zeit lassen, selbst damit zurechtzukommen, bevor alle anderen ihr Mitleid über uns ausgießen.«
»Sprich leise.«
»Carla Petriano ist das größte Klatschmaul der Stadt.«
»Sie ist die Mutter von Daniels bestem Freund«, sagte Dad. »Sie würde nichts tun, was ihm schadet.«
»Warum soll er von Fremden jetzt anders behandelt werden als sonst?«, entrüstete sich Mom.
»Sei fair. Carla ist wohl kaum eine Fremde.«
Dann kam etwas Unverständliches, bei dem mein Vater mit der Hand gegen die Wand schlug. »Verdammt noch mal, Sylvie. Das betrifft uns alle, nicht nur dich.«
»Denkst du, das weiß ich nicht, Red?«, sagte Mom. »Sieh dir Joe an. Er hält sich fern. Und Nick. Der strengt sich so sehr an, nicht darüber zu reden, dass er überhaupt nichts mehr sagt.«
»Außer, wenn es um Fußball geht.« Aber nur mein Vater lacht, trocken und kurz.
»Auch egal«, fährt meine Mutter fort. »Er ist zu jung, um zu verstehen, wie ernst die Sache ist.«
»Ich glaube, da irrst du dich. Ich denke, er versteht es nur allzu
Weitere Kostenlose Bücher