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Fahrt ohne Ende

Fahrt ohne Ende

Titel: Fahrt ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Klönne
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schön nennt. Montag abend muß ich fahren.«
    Wolf sagte nichts. Er sah nur starr geradeaus. Jürgen legte ihm den Arm um die Schulter:
    »Komm, denk einfach nur an die Fahrt, daß wir jetzt endlich den Dom sehen. Das andere mußte ja doch einmal kommen. Also, wie machen wir das am Samstag...?«
    Wolf schwieg noch für einen Augenblick, dann sagte er tapfer:
    »Ja — am Samstag — wir können uns ja in drei Gruppen teilen: Pit und Tim fahren mit ihren Rädern, die nehmen wir dann am Sonntag, und am Samstag teilen wir den Rest: eine Hälfte Zug, eine Hälfte Bus; so um ein paar Ecken rum kommen wir dann schon hin...«
    Am Samstagabend, als sie ihre Kothe auf einer Waldlichtung irgendwo im Bergischen Land gebaut hatten, nahm Jürgen Abschied von seiner Gruppe. Er machte keine großen Worte. Sie sangen, spielten, erzählten wie immer. Mitunter sogar ein wenig ausgelassener als sonst im letzten Jahr.
    »Statt einer Abschiedsrede an mein Volk«, sagte Jürgen zuletzt, »will ich euch einen Vers sagen. Er ist von Joachim Ringelnatz; der Mann ist euch ja kein Fremder mehr. Der Vers heißt:
     
In Hamburg wohnten zwei Ameisen,
die wollten nach Australien reisen.
In Altona, auf der Chaussee,
da taten ihnen die Beine weh.
Und da verzichteten sie weise
dann auf den letzten Teil der Reise.
     
    Nett, nicht wahr? Ja, und was ich euch sagen wollte: Ich möchte nicht, daß es irgendeinem von uns einmal so ergeht wie den Ameisen!«
    Dann mußte Wolf noch ein Märchen erzählen. Nachher sprachen sie ihr Abendgebet und sangen ganz leise:
     
Buben im Feuerkreise, haltet gute Wacht,
singet die alte Weise in die stille Nacht.
Brüder in den Zelten, schlaft nur immerzu ,
Wachen im Feuerkreise, schützen eure Ruh.
     
    Später, als Jürgen in der Nacht seine Kothenwache hatte, suchte er sich das Logbuch der Gruppe her. So ein Logbuch — manche Leute sagen auch Bordbuch — gehört eigentlich zu jeder richtigen Jungengruppe, so wie es auch kein Schiff und kein Flugzeug ohne Bordbuch gibt.

    In das Logbuch seiner Gruppe schrieb Jürgen dann ein Wort von Angelus Silesius:
     
    Mensch, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehn. Man muß aus einem Licht fort in das andre gehn.
     
    Sonntagfrüh gingen sie gemeinsam zur heiligen Messe in die nahe Dorfkirche. Dann radelten Jürgen und Wolf nach Altenberg. Für eine Stunde lang waren sie im Altenberger Dom. Jürgen zeigte und erklärte Wolf die einzelnen Formen; wie die Zisterziensermönche und die Grafen von Berg im Jahre 1255 den Grundstein zu der heutigen Abteikirche gelegt hatten, wie sich das ganze Land an dem Bau dieses »ihres« Domes beteiligt hatte, und daß die Kirche und Abtei seit 1803 verwaist waren und zerfielen, doch seit 1920 etwa in der feierlichen Halle wieder das Chorgebet erklang. Zwar nicht mehr das Chorgebet der Mönche, aber das der deutschen Katholischen Jugend, die den Altenberger Dom mehr und mehr als »ihren Dom« für sich gewann.
    Dieser Dom war von einer unaussprechlichen Schönheit, auch wegen der eindrucksvollen Größe, aber viel mehr noch wegen der einzigartigen Reinheit und Klarheit des Innern, der Reihen der schlanken gotischen Säulen, der Abgewogenheit und Lichtfülle des Ganzen...
    Als sie später auf der Höhe unter den Buchen saßen — unter ihnen inmitten der herbstlichen Wälder der Dom, sprachen Wolf und Jürgen über ihre Gruppe.
    »Ich glaube doch, daß ihr die Gruppe auch ohne mich irgendwie weiterführen könnt, Wolf. Das ist bestimmt nicht einfach, aber wenn ihr zusammenhaltet, schafft ihr das. Sicher, mit den Fahrten wird‘s nicht mehr viel werden, schon des Krieges wegen nicht. Unser Wimpel wird nicht mehr oft über unserer Kothe wehen können. Aber das ist ja nicht das Schlimmste. Hauptsache, daß die andere, die heimliche Fahne, immer über euch weht. Und — du weißt, daß ich mich gerade auf dich verlasse.«
    Sie gingen noch einmal in den Dom. Die hellen Sonnenstrahlen fielen in den Dom und auf die Gesichter der zwei Jungen, die erfüllt waren von dem Schmerz eines großen Abschieds. Doch sie waren zugleich auch erfüllt von der Zuversicht, daß sie im Letzten nichts voneinander trennen könne. Auch nicht der Tod.
    In der Heimatstadt angelangt, brachte Jürgen Wolf noch nach Haus. Sie gingen langsam den Weg entlang, wortlos fast, nur mitunter über gleichgültige Dinge sprechend.
    Die Dämmerung fiel schon über die Stadt. Das Laub häufte sich zu beiden Seiten des Wegs, auf den Feldern hinter den Schrebergärten brannten die

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