Fahrt zur Hölle
Transparenz. Ich betone es noch einmal: Wir haben es mit Kriminellen zu tun und wollen, dass ein Exempel statuiert wird, um Nachahmungstätern keinen Anreiz zu bieten.«
»Am runden Tisch in Berlin haben die Marine und die Bundespolizei gesessen. Zumindest Letztere könnten Sie einsetzen.«
Deutlich war Rukczas Stoßseufzer zu vernehmen. »Sie haben die Diskussion verfolgt. Die Opposition hat den erweiterten Einsatz in Somalia abgelehnt. Sie hält die Risiken für zu groß.«
»Lächerlich«, unterbrach ihn Lüder. »Das sind gut ausgebildete Experten. Und auch technisch haben die Piraten dem nichts entgegenzusetzen.«
»Das Mandat ist beschränkt. Die Marine darf höchstens am Strand und maximal zwei Kilometer landeinwärts gegen logistische Einrichtungen der Piraten vorgehen. Das ist alles. Dennoch gilt, dass der Einsatz am Boden verboten bleibt. Der Marine ist es nur erlaubt, auf hoher See einzugreifen. Nur im äußersten Notfall dürfen Bundeswehrsoldaten am Boden eingesetzt werden, wenn zum Beispiel ein Hubschrauber abstürzt und dessen Besatzung gerettet werden muss.«
»Das hier ist ein Notfall. Die Piraten haben Geiseln genommen.«
»Die nicht ohne Gefahr für deren Leben befreit werden können«, entgegnete Rukcza.
Die Diskussion war fruchtlos. Natürlich hatte Rukcza keine Entscheidungsgewalt. Lüder zweifelte auch daran, dass es in der parlamentarischen Debatte ernsthaft um die Sache gegangen war, und fragte sich, ob hier nicht nur aus politischen Gründen eine Oppositionsmeinung gebildet wurde. Wie viele Abgeordnete des Bundestages mochten an dieser Debatte teilgenommen haben?, überlegte Lüder. Waren die ersten beiden Reihen des Parlaments besetzt gewesen? Und wer in Berlin verstand etwas von den tatsächlichen Problemen hier vor Ort?
»Wissen Sie, ob sich die Piraten inzwischen der Ladung bemächtigt haben?«, fragte Lüder.
»Darüber haben wir keine Auskünfte.«
»Wie denkt Ihr bayerischer Kollege Graupenschlager über die Sache? Schließlich ist er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und sehr daran interessiert, dass Deutschlands Interessen im Welthandel gewahrt bleiben.«
»Staatssekretär Graupenschlager vertritt natürlich den Standpunkt der deutschen Wirtschaft. Das ist schließlich Aufgabe seines Ressorts. Aber, ganz im Vertrauen, als Bayer hat er keinen Bezug zur Seefahrt.«
»Aus welchem Teil Deutschlands stammen Sie?«, fragte Lüder.
Rukcza blieb die Antwort schuldig. »Es wäre der Sache dienlich, wenn Sie bald Erfolge vorweisen könnten«, sagte er unwirsch zum Abschied.
Lüder sah auf das Satellitentelefon. Dann nannte er in deftiger Umgangssprache jenen Körperteil, für den die Mediziner den lateinischen Ausdruck Musculus sphincter externum verwenden.
Das anschließende Telefonat mit Margit war ebenfalls unerfreulich.
Lüder verstand ihre Vorwürfe. Es war nicht nur Enttäuschung, die in ihren Worten mitschwang, sondern auch Sorge um ihn. Aber wie hätte er ihr seine Mission erklären sollen? So versuchte er etwas von »Ausflug auf eine Lodge in einem Nationalpark« zu erzählen. Er spürte, dass sie ihm keinen Glauben schenkte, und war darüber ebenso betrübt wie über die Tatsache, dass er sie anlog. Er wusste, dass er ihr gegenüber ein schlechter Lügner war.
Anschließend nutzte er die Dusche, zog sich um und kehrte mit seinen Kameras und dem Notebook ins Erdgeschoss zurück.
Dieter erwartete ihn und verschwand bei seinem Erscheinen irgendwo in der Tiefe des Hauses. Kurz darauf tauchte Hürlimann auf.
»Ah«, begrüßte er Lüder. »Haben Sie sich ein wenig erfrischen können?« Er fasste ihn am Ärmel und zog ihn zu einem antiken Schrank, hinter dessen Tür sich eine Bar verbarg.
Hürlimann bemerkte Lüders erstaunten Blick. »Nicht jeder Muslim nimmt es mit den Regeln des Propheten so genau. Die Bar habe ich übernommen. Der Inhalt ist mühsam zu beschaffen.«
Ohne Lüders Zustimmung einzuholen, mixte Hürlimann zwei Campari Orange. Er reichte Lüder ein Glas und prostete ihm zu. Dann plauderte er über das Leben in Mogadischu, berichtete davon, dass das Land zwar von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt sei, aber auch hier viele Menschen leben, die sich bemühten, ihr Bestes zu geben.
»Ärzte, die unter unglaublichen Bedingungen Not zu lindern suchen, junge Männer, die ohne Lohn in irgendwelchen Ruinen bemüht sind, den Kindern zumindest ein paar Grundbegriffe des Lesens und Schreibens beizubringen, und viele andere Dinge, die den Alltag
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