Fahrt zur Hölle
erreichen Sie entweder auf dem Landweg. Das sind nicht ganz tausend Kilometer. Mit ein wenig Glück können Sie es in zwei Tagen schaffen. Aber … eine Spazierfahrt ist das nicht. Oder Sie nehmen einen Charterflieger.«
»Können Sie mir einen besorgen?«
Hürlimann nickte. »Mit Pilot und Begleitschutz.«
Lüder widersprach nicht. Er hatte verstanden, dass er allein nicht durchkommen würde. Stattdessen rieb er Daumen und Zeigefinger gegeneinander.
Der Schweizer wiegte den Kopf. »Der Flug ist gefährlich. Das wird nicht billig.«
Nach einem Obstbrand als Digestif verabschiedete sich Hürlimann sehr schnell mit der Begründung, er müsse die Reise organisieren. Er ging zu einem Ecktisch und kehrte mit einem zerfledderten Buch wieder.
»Das ist die einzige Zerstreuung, die ich Ihnen bieten kann«, erklärte er und überreichte Lüder einen Roman. »Ein Landsmann von mir.«
»Wie sinnig«, erwiderte Lüder, als er Max Frischs Buch »Biedermann und die Brandstifter« entgegennahm. Dann zog er sich auf sein Zimmer zurück, sicherte die Tür mit dem Glas auf der Klinke und versuchte zu schlafen.
Es fiel ihm schwer, Ruhe zu finden. Er hatte noch nicht lange im Bett gelegen, als das Licht flackerte. Dann erlosch es ganz. Das Stromaggregat war abgeschaltet worden. Leider wirkte sich das auch auf den Ventilator aus. Im Nu war es stickig im Zimmer. Lüder wagte es aber nicht, das Fenster zu öffnen. Er war sich nicht sicher, welche Insekten er damit anlocken würde. Aus dem schwedischen Sommerurlaub wusste er, wie lästig manche Plagegeister werden konnten. Und nordeuropäische Mücken waren harmloser als afrikanische.
Irgendwann fiel er in einen unruhigen Schlaf. Er wusste nicht, wie lange er sich hin und her gewälzt hatte, als er durch ein Poltern aus Morpheus’ Armen herausgerissen wurde. Das Glas war von der Türklinke gefallen, klirrend auf dem Teppichboden gelandet und scheppernd gegen die Tür gerollt.
Lüder sprang aus dem Bett, hastete zu seinem Gepäck, riss die Pistole heraus und zog den Verschluss zurück. Dann stellte er sich neben die Tür und wartete.
Es war stockfinster. Kein Lichtstrahl drang in den Raum. Vorsichtig legte er die Hand auf die Türklinke und berührte sie mit zwei Fingern. Nichts bewegte sich. Auch jenseits der Tür war kein Geräusch zu vernehmen. Er verharrte eine Weile in dieser Position. Das Herunterfallen des Glases musste man im ganzen Haus gehört haben. Offensichtlich nahm niemand Notiz davon.
Nach einer Weile tastete Lüder mit der flachen Hand den Boden ab. Schließlich fand er das Glas. Es war heil geblieben. Er stellte es erneut auf die Türklinke, balancierte es aus und kehrte zum Bett zurück. Sein einfacher Einbruchschutz hatte sich als effizient erwiesen.
Es dauerte eine Weile, bis er erneut einschlief. Es war kein tiefer, erholsamer Schlaf, eher ein Dösen. Er vermochte nicht zu unterscheiden, ob seine Gedanken spazieren gingen oder die Ereignisse der jüngsten Zeit seine Träume beeinflussten.
Plötzlich wurde geschossen. Laut und deutlich war Gewehrfeuer vernehmbar. Eine andere Schnellfeuerwaffe antwortete. Vielleicht waren es nur wenige Sekunden und ein paar Feuerstöße, aber in der Stille der Nacht wirkte der Schusswechsel wie ein Gefecht. Lüder saß senkrecht im Bett. Auch als die Gewehre wieder verstummt waren und in der Folge absolute Stille herrschte, konnte er nicht wieder einschlafen.
Gern hätte er jetzt in dem Buch geblättert, um sich ein wenig abzulenken. Aber der Strom war immer noch abgeschaltet. Es waren Stunden, die an den Nerven zerrten.
SECHS
Da er auch in der vorherigen Nacht wenig geschlafen hatte, überkam ihn irgendwann die Müdigkeit. Er wusste nicht, wie lange und heftig jemand gegen seine Zimmertür geklopft und seinen angenommenen Namen gerufen hatte.
»Mr. Wolfram. Sir. Hello.«
»Hello«, antwortete er.
»Sir. Sir Urs erwartet Sie zum Frühstück, Sir«, sagte die Stimme. Dann entfernte sich der dienstbare Geist.
Lüder suchte das Bad auf und war froh, dass dort warmes Wasser aus der Dusche kam. Trotz der afrikanischen Hitze fröstelte er. Es war schlicht die Müdigkeit. Lange ließ er den dünnen Wasserstrahl über seinen Körper laufen. Es brachte nur wenig Entspannung.
Lüder sah in den Spiegel. Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet. Er sah erschöpft aus. Er putzte die Zähne und verzichtete auf das Rasieren. Vielleicht würden die blonden Bartstoppeln ein wenig die graue Frabe des Gesichts verbergen,
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