Fahrt zur Hölle
Licht in die Angelegenheit zu bringen«, erklärte der Mann und stellte sich vor: »Mein Name ist Youssef Galaydh. Aber das werden Sie sicher schon wissen.«
Lüder versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Wie kam Galaydh zu der Überzeugung, seine Identität wäre schon aufgedeckt? Traute er den deutschen Sicherheitsbehörden so viel zu?
»Mein Name ist Achim Wolfram«, sagte Lüder.
»Ich weiß.« Galaydh lächelte. »Journalist bei den Kieler Nachrichten. Sie interessieren sich für die Entführung der ›Holstenexpress‹. Warum?«
Lüder nahm den angebotenen Platz ein und berichtete vom Interesse in Deutschland, insbesondere im Norden der Bundesrepublik, an einem durch kriminelle Handlungen ungefährdeten Seehandel.
»Interessiert Sie auch die Situation der Menschen hier an der Küste? Gibt es in Deutschland Informationen darüber?«
»Sie können doch nicht die schwierige Lage in Somalia als Begründung nehmen für kriminelle Handlungen. Die gekidnappte Besatzung hat niemandem ein Leid zugefügt.«
»Wir haben keine andere Möglichkeit. Sonst erhört uns niemand. Wären Sie hierhergekommen, wenn Sie nicht das Schiff hier vermuten würden?«
»Ich glaube nicht. Es liegt hier«, sagte Lüder bestimmt. »Und wie soll ich über Ihren Standpunkt berichten, wenn man mich meiner Arbeitsmittel beraubt hat? Kamera. Notebook. Telefon. Alles wurde gestohlen.«
»Leider gibt es eine sehr hohe Allgemeinkriminalität in unserem Land. Das hätten Sie wissen müssen.«
»Ist es nicht eine Farce, wenn Sie mir scheinheilig erklären, ich wollte nach Hordio, und nun sei mein Wunsch erfüllt worden? Die Art und Weise, wie mich Ihre Leute gezwungen haben, ihnen zu folgen, ist Schwerkriminalität. Das wird auch in Puntland bestraft.«
Galaydh lachte herzhaft, als hätte Lüder einen ausgezeichneten Scherz von sich gegeben. »Sie meinen Peltini? Wollen Sie ihm unseren Aufenthaltsort verraten?« Erneut lachte der Somalier wie ein Kind. »Den kennt er, und zwar besser als Sie.«
»Sorgen Sie dafür, dass ich umgehend mein Eigentum zurückerhalte. Ich will mit der Besatzung sprechen und mich vom ordnungsgemäßen Zustand des Schiffes überzeugen.«
Galaydh wurde ernst. »Gar nichts werden Sie«, sagte er. »Sie haben keine Forderungen zu stellen.«
»Ich bin Journalist. Wenn Sie viele Jahre in Deutschland gelebt haben, muss ich Ihnen nicht die Bedeutung einer freien und unabhängigen Presse erklären.«
Der Somalier nahm eine drohende Haltung ein.
»Schweigen Sie«, sagte er im Befehlston. »Hier gelten unsere Regeln. Jeder weiß, dass vor den Küsten Somalias und seiner Nachbarstaaten … Haben Sie das gehört? Auch die Nachbarn sind betroffen! Dort herrscht ein großes Risiko von Piratenangriffen und Kaperungen. Der Einzugsbereich reicht bis tief in den Indischen Ozean, bis zu den Seychellen und Madagaskar. Jeder weiß das. Auch Ihre Regierung. Man warnt vor der Gefährdung in diesem Seegebiet. Und? Aus purer Profitgier kreuzen dort draußen, direkt vor unserer Haustür, weiter jede Menge Schiffe. Niemand will auf die Güter verzichten, die dort übers Meer befördert werden. Textilien, Spielwaren und Elektronikartikel könnten Sie auch in Europa produzieren. Aber nein. Es ist viel günstiger, es bei den Underdogs in der Dritten Welt herstellen zu lassen, um es dann ungeachtet der verheerenden ökologischen Folgen über die Meere zu transportieren. Wie viel Cent wäre eine indische Jeans teurer, wenn sie um das Kap der Guten Hoffnung geschifft würde?«
»Und Sie nehmen sich das Recht heraus, wie ein finsterer Wegelagerer Zoll zu erheben. Die Zeiten haben wir seit dem Mittelalter überwunden. Leben Sie hier noch im Mittelalter?«
Lüder registrierte, dass es Galaydh zunehmend schwerer fiel, die Beherrschung zu wahren. Es war ein riskantes Unterfangen, den Mann zu reizen, dabei aber nicht den Bogen zu überspannen. Auch wenn der Somalier in Deutschland studiert hatte und der westlichen Lebensart und Kultur begegnet war, konnte Lüder sein Verhalten nicht einschätzen. Immerhin hatte sich Galaydh den Entführern angeschlossen, schien sogar eine Führungsrolle einzunehmen. Und seine traditionelle Kleidung zeigte, welche Wahl er bei der Entscheidung zwischen Orient und Okzident getroffen hatte.
»Haben Sie ein Stipendium in Deutschland gehabt?«
»Warum?«, fragte Galaydh überrascht.
»Mich würde interessieren, wie sich bei Ihnen Dankbarkeit gegenüber dem Land ausdrückt, das Ihnen das Studium
Weitere Kostenlose Bücher