Fahrt zur Hölle
signalisieren, dass diese hochzustrecken seien. Wäre er der englischen Sprache mächtig gewesen, hätte er es vermutlich bei einem schlichten »hands up« belassen.
Das ist die Straßenkriminalität, wurde Lüder bewusst, von der stets berichtet wird. Und er war dem Überfall machtlos ausgeliefert. Lüder konnte sich nicht umdrehen, um zu sehen, ob das Hotelpersonal den Raub beobachtete. Aber was sollte auch geschehen? Hier gab es keinen Polizeinotruf, hier würde keine Streife vom nächsten Revier erscheinen. Und die verschlossene Hoteltür deutete darauf hin, dass man den Überfall erwartete und auf diese Weise jeden Rückzug ausschließen wollte. Ob das Personal mit den Kriminellen unter einer Decke steckte?
Der Mann plünderte ihn in aller Seelenruhe aus. Selbst die Armbanduhr, ein Geschenk von Margit zur Promotion, ließ er in seiner Tasche verschwinden. Mit einem Grunzlaut quittierte der Mann die US -Dollar in bar, die Lüder in einer Brusttasche um den Hals trug. Zwischendurch erhielt Lüder immer wieder Stöße und Rempler von seinem Widersacher. Als der Gangster nichts mehr fand, stieß er Lüder ins Kreuz, dass der vorwärtstaumelte.
»Einsteigen«, befahl der Anführer, während sich der zweite Verbrecher über Lüders Reisegepäck hermachte, alle Taschen öffnete und in der einheimischen Sprache dem Anführer den Inhalt aufzählte. An der Tonlage glaubte Lüder zu erkennen, dass die Männer mit ihrer Beute zufrieden waren.
Lüder quetschte sich auf den Rücksitz des Zweitürers, und der Mann mit dem Gewehr drückte ihm die Spitze des Laufs schmerzhaft in die Rippen.
Die Täter verstauten Lüders Gepäck im Kofferraum, stiegen ein und verließen die Zufahrt des Hotels. Lüder sah sich noch einmal um. Er konnte niemanden vom Personal entdecken. Das Haus schien wie ausgestorben.
Was hatten die Männer mit ihm vor? Herzog hatte ihn vor der Allgemeinkriminalität gewarnt. Ein Menschenleben galt hier nichts. Vielleicht befürchteten sie, Lüder könne sie beschreiben und die Sicherheitskräfte würden sie verfolgen. Lüder war nicht wohl in seiner Haut. Er war den Leuten ausgeliefert. Hilfe konnte er nicht erwarten.
Die Täter unterhielten sich lautstark in ihrer Sprache, lachten dabei und machten einen zufriedenen Eindruck. Sie fuhren die Hauptstraße entlang, durchquerten das Zentrum, wenn man es so nennen konnte, und verließen Garoowe am anderen Ende der Stadt. Gleich hier begann die trostlose Wüste aus rotem Sand. So weit das Auge reichte: Sand.
Lüders Herz schlug heftig. Sein Puls raste. Er versuchte, seine Anspannung vor den Leuten zu verbergen. Vielleicht wollten die Täter Zeit gewinnen und würden ihn irgendwo dort draußen aussetzen?
Nein!, dachte Lüder. So viel Umstände machte man nicht mit Opfern. Er versuchte, der Haltung der drei Männer und der Art und Weise, wie sie miteinander sprachen, etwas zu entnehmen. Es gelang ihm nicht. Zu fremd war die Sprache, um wenigstens am Klang etwas heraushören zu können.
Nach wenigen Kilometern bremste der Fahrer ab und bog auf ein umzäuntes Areal ab. Hinter der Mauer verbarg sich eine armselige Hütte, mehrere Unterstände, ein Brunnen. Ein paar Tiere liefen über den Hof und knabberten an den wenigen verdorrten Grashalmen.
Vor der Hütte stand ein Toyota Pick-up mit Doppelkabine, der arg mitgenommen aussah. Auffallend war das auf der Ladefläche montierte Maschinengewehr. Ein Technical. Fuhren gewöhnliche Kriminelle mit einem solchen Fahrzeug herum? Peltini und seine Leute, auch wenn der Sicherheitschef die mangelnde Reichweite seines Einflusses beklagte, würden das nicht akzeptieren. Nicht in Garoowe.
Was verbarg sich dann hinter diesem Kidnapping?
Entführung!
Lüder atmete durch. Seltsam, dass ihm dieser Begriff plötzlich einen Hauch Hoffnung verlieh. Man wollte Lösegeld für ihn. In einem Anflug von Sarkasmus huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Was ist ein deutscher Beamter dem Steuerzahler wert? Und wenn man leugnen würde, ihn zu kennen, ihn auf diese Mission geschickt zu haben? Wenn Rukcza und seine Leute den Standpunkt vertreten würden, die Bundesrepublik ließe sich nicht erpressen? Schlagartig fiel Lüder ein, dass seine Fragen nach dem Befinden der Besatzung der »Holstenexpress« stets unbeantwortet geblieben waren.
Der Mann mit dem Gewehr stieß noch einmal zu. Es war schmerzhaft. Auch ohne Worte verstand Lüder, dass er aussteigen sollte. Er folgte dem Fahrer und dem Anführer, die zum Eingang der Hütte gegangen
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