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Fahrt zur Hölle

Fahrt zur Hölle

Titel: Fahrt zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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ermöglicht hat.«
    »Muss ich mich deshalb westlicher Dekadenz beugen?«
    »Sie sollen nicht Ihre Seele verbiegen, aber sich an das erinnern, was Sie als Moral aus Deutschland mitgenommen haben.«
    Der Somalier machte eine verächtlich wirkende Geste. »Soll ich mich wirklich daran erinnern, wie mich kahl geschorene Typen in Kiel behandelt haben?«
    Es hatte keinen Sinn, dachte Lüder, die fruchtlose Diskussion fortzusetzen. Es gab keine Grundlage, auf der ein Konsens zu erzielen wäre. Und heute hatte Galaydh die handfesteren Argumente. Lüder war ihm ausgeliefert.
    »Lassen Sie mich umgehend frei«, forderte Lüder.
    »Sie werden das tun, was wir für richtig halten«, sagte der Somalier mit Entschiedenheit. Dann sagte er etwas auf Somali, drehte sich um und setzte sich wieder vor den Computer.
    Aus dem Hintergrund löste sich einer der Männer, stieß Lüder die Waffe ins Kreuz und dirigierte ihn hinaus zu einer anderen Hütte, die eine stabile Bohlentür hatte. Er schubste Lüder hinein und blieb im Türrahmen stehen. Kurz darauf erschien ein Kind. Lüder schätzte den Jungen auf höchstens zehn Jahre. Der Bursche brachte einen Krug mit Wasser und ein Stück des pfannkuchenartigen Brotes. Er reichte es Lüder, trat ein Stück zurück und spie vor Lüder aus. Auch Kindern hatte man schon den Hass beigebracht, dachte Lüder voller Bitterkeit. Die Tür wurde geschlossen.
    Lüder hörte, wie ein Riegel vorgelegt wurde. Aus dem fensterlosen Raum, in dem es jetzt stockfinster war, gab es kein Entkommen. Wohin hätte er auch fliehen sollen? Rundherum war ein lebensfeindliches Land. Er tastete nach dem Krug, trank angewidert von dem faulig schmeckenden Wasser und brach stückchenweise von dem Brot ab, um seinen Hunger zu stillen. Irgendwann übermannte ihn die Erschöpfung, und er schlief auf dem harten Fußboden ein.
    Zunächst vernahm Lüder Lärm von draußen, dann polterte es gegen die Tür, bevor der Riegel beiseitegeschoben wurde. Durch die Ritzen der Bohlen schimmerte es hell. Der Tag musste angebrochen sein. Es war also nach sechs Uhr früh.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und zwei Somalier kamen herein. Lüder hatte sie noch nie gesehen. Der ältere von beiden war höchstens achtzehn Jahre alt, der jüngere, der eine MP i auf Lüder richtete, war noch ein Kind. Das Alter war schwer zu schätzen. Sicher war er noch keine fünfzehn Jahre alt. Beide schrien auf Lüder ein und fuchtelten mit ihren Waffen. Als der Jüngere Lüders abschätzigen Blick bemerkte, visierte er Lüders Gesicht an und brüllte etwas mit sich überschlagender Stimme. Der Junge war gefährlich. Das tödliche Werkzeug in seiner Hand verlieh ihm eine Macht, die er in seinem Alter nicht zu beherrschen vermochte. Lüder hob die Hände und verschränkte sie im Nacken.
    »Ist gut, du kleines Arschloch«, sagte er in besänftigendem Ton und versuchte ein Lächeln. Die Wortwahl diente Lüder dazu, sich selbst zu signalisieren, dass er noch Herr der Situation war, wenn die äußeren Umstände auch dagegensprachen.
    Der Gestik der beiden entnahm Lüder, dass er ihnen folgen sollte. Als er aus dem dunklen Verlies ins Freie trat, benötigte er einen Moment, bis sich seine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten.
    Hordio erwies sich bei Tag als schmutziges Nest. Die Straßen waren aus Sand und dreckig, die Häuser armselig und verfallen. Wo einst Farbe die Tristesse verschönt hatte, blätterte nun der Lack ab und zeigte schonungslos das vergammelte Holz. Nur wenige Menschen waren zu sehen, ausnahmslos Männer und Kinder, die Lüder und seine Bewacher aus der Distanz mit einer Mischung aus Neugierde und Furcht betrachteten.
    Die beiden Jugendlichen dirigierten ihn Richtung Meer. Sanft rollten die Wellen des Indischen Ozeans auf den breiten Strand. Mancher europäische Nobelbadeort hätte sich glücklich geschätzt, über einen so breiten und feinkörnigen weißen Sandstrand zu verfügen. Das klare Wasser des Ozeans, die Wellen, die leichte Brise … Das waren die Zutaten für einen Traumurlaub. Doch für die Fremden in dieser Region war es ein Alptraum.
    Im seichten Wasser schaukelte eine Handvoll offener Holzboote. In einem stand ein Mann, dem ebenfalls eine Maschinenpistole über der Schulter baumelte, und erwartete sie.
    Lüder watete durch das Wasser Richtung Boot, zog sich über die Bordwand und folgte dem knurrig vorgetragenen Wink, sich am Bug des Fahrzeugs niederzukauern. Als er auf der Reling Platz nehmen wollte, zeigte der Mann auf den Boden.

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