Fahrt zur Hölle
waren, als es hinter ihm knallte. Natürlich verursachte das Geschoss keinen Luftzug, und doch spürte Lüder es. Abrupt blieb er stehen und zog automatisch den Kopf zwischen die Schultern. Es war ein Reflex. Der Mann hinter ihm brüllte etwas. Lüder hob die Hände und drehte sich ganz langsam um. Der Schütze wedelte mit der Waffe und schrie etwas auf Somali.
»Sprich vernünftig mit mir, du Arsch«, sagte Lüder und baute damit seine Anspannung ab. Der Mann schwenkte die Waffe und deutete auf einen Punkt zwischen sich und dem Pick-up.
Lüder zuckte die Schultern, um anzuzeigen, dass er den Somalier nicht verstanden hatte. Der hob das Gewehr und schoss erneut. Er zielte dabei etwa einen Meter an Lüder vorbei.
Jetzt war hinter ihm Gebrüll zu hören. Mehrere Männer verließen rufend die Hütte. Der Schütze antwortete etwas. Es entspann sich ein hektisch geführter Dialog, bis schließlich der Anführer an Lüder herantrat.
»Rühr dich nicht von der Stelle«, sagte er und befahl Lüder, die Hände auf den Rücken zu legen.
Ein weiterer Täter trat an ihn heran und band ihm die Hände hinter dem Körper zusammen. Dann wurde ihm eine Art Bettuch über den Kopf gestülpt. Kräftige Hände packten ihn, schleiften ihn über den Platz und warfen ihn auf die Ladefläche des Pick-ups. Sie nahmen dabei keine Rücksicht, sodass Lüder mit dem Schienbein gegen die Ladekante stieß und sich eine blutige Wunde einfing.
»Jeder Fluchtversuch wird bestraft«, schrie ihn der Anführer an.
Lüder versuchte sich etwas zurechtzuruckeln und lehnte sich gegen das Gestell des Maschinengewehrs. Dann wartete er. Er vernahm Stimmen, die lautstark palaverten. Nach einer Weile entfernten sie sich. Lüder vermutete, dass sich die Gruppe in die Hütte zurückgezogen hatte.
Die Männer ließen sich Zeit. Lüder wusste nicht, wie lange er dagelegen hatte. Es wurde wärmer, und die Ladefläche, auf der er lag, heizte sich auf. Zudem erschwerte der Sack, den man ihm über den Kopf gestülpt hatte, das Atmen. Endlich erschienen die Leute wieder. Lüder hörte Stimmen, dann stiegen mehrere Männer in den Pick-up ein. Er vernahm das Klappen von drei Türen. Der Motor wurde angelassen, und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung.
Aufgrund der Fliehkraft, der er in der Kurve ausgesetzt war, erkannte Lüder, dass sie nach links auf die Straße abgebogen waren, das hieß, sie entfernten sich von Garoowe Richtung Wüste.
Die Straße war mit Schlaglöchern übersät. Lüder spürte jeden Stoß. Die Sonne brannte unerbittlich, auch wenn der Fahrtwind ein wenig Linderung verschaffte. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Seit einer Ewigkeit rollten sie über die Straße. Selten wurde die Monotonie durch das tiefe Brummen eines entgegenkommenden Fahrzeugs unterbrochen. Es klang wie Lastkraftwagen. Ebenso selten waren Kurven. Lüder bekam jede zu spüren, weil er gegen die Halterung des Maschinengewehrs stieß. Seine Bemühungen, die Fesseln zu lösen, waren vergeblich. Bei dem Versuch schnitt das Seil noch tiefer ins Fleisch.
Zweimal hielt der Wagen an. Seine Bewacher stiegen aus, unterhielten sich, entfernten sich ein Stück vom Fahrzeug, ließen Lüder aber liegen. Niemand sprach mit ihm.
Erst bei der dritten Pause nahm man ihm den Sack vom Kopf und holte ihn von der Ladefläche. Er durfte ein paar Schritte laufen, bekam Wasser zu trinken, und man gestattete ihm, sich zu erleichtern. Auch die Hände wurden jetzt nicht mehr hinter dem Rücken, sondern vorn zusammengebunden. Ganz langsam begann das Blut wieder zu zirkulieren. Dann ging die Fahrt weiter.
Nach einer Zeit, die gefühlt unendlich währte, verringerte der Wagen die Geschwindigkeit und bog ab. Jetzt ging es langsamer voran. Das Fahrgeräusch hatte sich verändert, und Lüder vermutete, dass sie die Asphaltstraße verlassen hatten. Er nahm an, dass sie mehrere Stunden Richtung Norden gefahren waren. Dort lag die größte und wirtschaftlich bedeutendste Stadt Puntlands: die Hafenstadt Boosaaso. Sie fuhren noch eine Weile, bis sie erneut eine Pause einlegten. Er empfand es als Erleichterung, dass ihm der Sack abgenommen wurde. Er durfte auch wieder einen Schluck Wasser trinken, nachdem man ihn von den Handfesseln befreit hatte. Seine drei Bewacher saßen ein wenig abseits, lachten und tranken Tee.
Es war kühler geworden. Nach der Hitze des Tages war das fast angenehm. Lüder sah sich um. Sie befanden sich mitten in der Wüste. Ringsherum war nur karge Landschaft zu sehen. Lediglich im
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