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Fahrt zur Hölle

Fahrt zur Hölle

Titel: Fahrt zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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übernommen haben?«
    »Ich habe schon erklärt, dass ich darüber nicht informiert bin.« Gani klang jetzt ungehalten. Um das zu unterstreichen, sah er starr durch das Fenster in den dunklen Hof und schwieg fortan.
    Ihre Wache blieb ereignislos, bis sie von Piepstengel und einem anderen Matrosen abgelöst wurden. Lüder warf einen Blick in die Ecken, in die sich Kalynytschenko und Schöster zurückgezogen hatten. Beide lagen ruhig auf dem Boden. Ob sie schliefen, konnte Lüder nicht feststellen. Er selbst suchte einen weit entfernten Platz, rollte sich zusammen und spürte nicht den Übergang vom Wachsein in einen tiefen traumlosen Schlaf.

ACHT
    Es war das erste Mal seit Beginn seiner Geiselhaft, dass Lüder tief und fest geschlafen hatte, trotz des Gestanks, der Insekten, des Toten in der Nähe und der Aussicht auf eine ungewisse Zukunft.
    Zwei Matrosen wisperten miteinander. Irgendwann setzten sich auch der Kapitän und seine beiden Offiziere zusammen. Sie sprachen leise, und Lüder bekam nur mit, dass es um die Einzelheiten zu Bayanis Beerdigung ging.
    Hans-Günter Schöster hockte in seiner Ecke, hatte die Knie angezogen und die Hände darum gelegt. Der Kopf war gesenkt, und von unten beobachtete der Zahlmeister die Mitgefangenen. Er war ein merkwürdiger Mensch, zurückgezogen kauerte er hier und beteiligte sich an keinem Gespräch. Auch die anderen schienen ihn zu ignorieren. Lediglich Lüder war es gelungen, Schöster kurzfristig herauszufordern.
    Die Schiffsführung diskutierte immer noch über das Prozedere der Beerdigung. So fand Lüder keine Gelegenheit, Kapitän Syrjanow auf den beabsichtigten Zwischenstopp in Saudi-Arabien anzusprechen. Außerdem musste Lüder noch mit anderen Besatzungsmitgliedern tuscheln, sonst würde der Verdacht, dieses Geheimnis verraten zu haben, auf seinen Wachpartner, den Matrosen Gani, fallen. Das wollte Lüder vermeiden.
    Während der ganzen Zeit war keiner ihrer Bewacher zu sehen, auch nicht auf dem Hof. Der lag im grellen Sonnenlicht einsam und verlassen da.
    Lüder wandte sich nach links und rückte an einen Decksmann heran, dessen Namen er noch nicht kannte. So leise, dass es niemand aus dem Kreis der Matrosen hören konnte, fragte er ihn nach seiner Familie und woher er käme. Der Mann war zunächst erstaunt, dann erfreut. Bereitwillig begann er zu erzählen, dass Lüder Mühe hatte, ihn nach einer Weile zu bremsen, um mit einem anderen zu sprechen.
    Das wiederholte er mehrfach, bis Kalynytschenko, der Lüder schon eine ganze Weile beobachtet hatte, seine Diskussion mit dem Kapitän unterbrach und laut fragte:
    »Mr.   Wolfram! Wiegeln Sie die Mannschaft auf? Das sollten Sie sein lassen.«
    »Wir plaudern allgemein. Sie haben mir keine Vorschriften darüber zu erteilen, mit wem ich spreche.«
    Der Erste Offizier straffte sich, bevor er mit lauter Stimme verkündete, dass es der Mannschaft der »Holstenexpress« verboten sei, mit Lüder zu sprechen.
    »Mr.   Kalynytschenko kann solche Anordnungen nicht treffen«, belehrte Lüder die verunsicherten Männer, aber sein Wort galt nichts gegenüber dem des Schiffsoffiziers. Niemand wollte sich mehr mit Lüder unterhalten.
    »Machst du bei diesem Schwachsinn auch mit?«, fragte Lüder Hein Piepstengel auf Deutsch.
    Der Hamburger grinste. »Man sagt uns Norddeutschen immer nach, wir seien schweigsam und verschlossen. Soll ich dem Sackgesicht mal das Gegenteil beweisen? Ich schmier mir vor jeder Reise den Buckel mit Seife ein. Dann können solche Knarzköppe wie der da besser runterrutschen. Nur am Ende der Rutschpartie lecken … Das überlege ich mir noch. Aber so rein symbolisch … Das kann er dreifach.«
    »Mr.   Piepstengel«, wurde Kalynytschenko formell, »meine Anordnung gilt auch für Sie. Haben Sie mich verstanden?«
    »Du kannst mir im Mondschein begegnen«, erwiderte Hein auf Deutsch. »Aber dann bist du auch nicht schöner. Sabbel ruhig weiter. Ich mach dir den Effenberger.« Er umschrieb damit den erhobenen Mittelfinger, den der ehemalige Nationalspieler Stefan Effenberg während der Fußballweltmeisterschaft unzufriedenen Zuschauern gezeigt hatte, was seinerzeit zu einem Eklat führte.
    »Sprechen Sie Englisch mit mir«, forderte ihn der Erste Offizier auf.
    »Du Dösbaddel. Das ist ’nen deutsches Schiff. Kannst bannig froh sin, dat ick nich Platt snacken dei.«
    »Sie werden die Konsequenzen tragen müssen«, drohte Kalynytschenko.
    »Jaja«, stöhnte Hein Piepstengel. »Jeder hat sein Päckchen zu tragen.

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