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Fahrt zur Hölle

Fahrt zur Hölle

Titel: Fahrt zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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unübersichtlich und nahezu unmöglich, den Überblick zu behalten.
    Hatte man in Berlin, als man Lüder gedrängt hatte, diesen Auftrag zu übernehmen, das nicht überblicken können? Ermittlungen anzustellen und Hintergrundinformationen zu sammeln war ein Aspekt. Eine Strafverfolgung wäre aber nur schwer durchsetzbar. Tatsächlich hatte Lüder die Zusammenhänge auch nur sehr vage aufdecken können.
    Um sich abzulenken, sprach er mit Kapitän Syrjanow und fragte ihn, wie man den ermordeten Matrosen beisetzen wolle. Niemand wusste, wie lange sie noch gefangen gehalten würden. Man konnte die sterblichen Überreste nicht hier im Verlies lassen.
    Syrjanow sprach daraufhin mit Bayanis Landsleuten, die heftig protestierten. Sie wollten nicht akzeptieren, dass einer der Ihren in diesem gottverlassenen Nest in ungeweihter Erde vergraben wurde. Nur zu gern überließ Lüder dem Kapitän die Auseinandersetzung. Er hatte Verständnis für die Haltung der Philippiner. Es war eine ausweglose Lage, in der sie sich befanden. Was immer sie taten: Es war falsch. Über eines war Lüder sich im Klaren. Wenn er jemals heil diese Hölle verlassen würde, konnte er nicht über die Erlebnisse, nur über die innere Anspannung und die Gefühle und Sorgen berichten.
    Syrjanow hatte es nach einer langen Diskussion geschafft, zumindest einige der Matrosen von der Notwendigkeit zu überzeugen, Bayani zu beerdigen. In dieser schweren Stunde erwies sich der Russe als einfühlsamer Mann, der auf die Sorgen seiner Mannschaft einging, aber dennoch das Unausweichliche vortrug. Lüder hätte nicht mit ihm tauschen mögen.
    Schließlich brach die Nacht herein, und die erste Wache nahm ihren Dienst auf. Lüder versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Jede Faser seines Körpers schmerzte, er war erschöpft und übermüdet, aber sein Geist kam nicht zur Ruhe. Immerzu kreisten seine Gedanken um die ungelösten Fragen, auf die er keine befriedigende Antwort fand.
    Die Zeit wollte nicht vergehen, und er war froh, als ihn Wang Li aufforderte, die Wache zu übernehmen. Lüders Partner hieß Gani und war noch angespannter als er selbst.
    Fahles Mondlicht ließ alles unwirklich erscheinen. Nur mit Mühe waren Konturen zu erkennen, und wenn man länger darauf starrte, begannen die Augen zu tränen und zu schmerzen. Nichts rührte sich. In ihrem Rücken waren die Atemgeräusche der Männer zu vernehmen. Es war fast beruhigend, dass auch Schnarchen zu hören war. Das verlieh der Situation einen Hauch von Normalität.
    Gani begann ohne Aufforderung von seiner Heimat zu erzählen, von seiner Familie, seiner Kindheit und seinem Werdegang als Seemann. Er stammte aus Taytay, einer Stadt im Norden der Insel Palawan zwischen dem Südchinesischen Meer und der Sulusee.
    Lüder war froh über die Erzählung, auch wenn er nicht zuhörte, sondern sie als Geräuschkulisse an sich vorbeirauschen ließ.
    Er stutzte, als Gani zwischendurch einschob: »Ich bin sehr traurig, dass wir hier gefangen gehalten werden. Nach dieser Fahrt hätte ich Urlaub gehabt. Endlich, nach zwei Jahren. Ich habe mich so auf meine Frau und meine Kinder gefreut. Das jüngste kenne ich nur von Bildern. Und nun … Ich habe mich schon geärgert, dass wir dieses Mal länger für die Fahrt gebraucht haben.«
    »Wie kommt das?«
    »Sonst fahren wir von Busan nach Hamburg neununddreißig Tage. Durch die Verzögerung in Madras und den außerplanmäßigen Halt in Limassol hätten wir zwei Tage verloren. Dann kursierte auch noch das Gerücht in der Besatzung, dass wir auch Dschidda in Saudi-Arabien anlaufen.«
    »Bitte?« Lüder war überrascht und hatte lauter gesprochen. Sofort sah er sich um, ob jemand ihrem Gespräch lauschte.
    »Genaues weiß ich nicht«, versuchte Gani das Gesagte zu relativieren. »Das Deckspersonal wird nicht informiert. Über solche Dinge weiß nur die Schiffsführung Bescheid.«
    »Was wollten Sie in Saudi-Arabien?«
    Gani zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich kann nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass an diesem Gerücht etwas dran ist.«
    »Wie lange fahren Sie schon auf der ›Holstenexpress‹?«
    »Seit über sechs Jahren.«
    »Kommt es oft vor, dass Sie außerplanmäßig Häfen anlaufen?«
    »Fast nie«, antwortete der philippinische Matrose. »Und in Saudi-Arabien waren wir noch nie. Ich habe auch zu keiner Zeit gehört, dass ein anderes Schiff der Reederei dort war.«
    »Könnte es mit den geheimnisvollen Containern zusammenhängen, die Sie in Madras

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