Fahrt zur Hölle
über sie hatten, verhielten sich die Bundeswehrsoldaten professionell. Sie hatten die G36-Sturmgewehre fest in die Schulter gepresst und suchten über die Reflexvisiere das Gelände ab. Sie sicherten das Areal, bevor mehrere von ihnen in den Innenhof hineinliefen.
Lüder stand immer noch an seinem Beobachtungsposten. Erneut schwenkte er sein Hemd, obwohl die Männer sich bereits zielgerichtet zum Verlies der Geiseln vorarbeiteten, während eine andere Gruppe sich geduckt an die Hütte der Geiselnehmer heran- pirschte und das kleine Gebäude schließlich stürmte.
In den infernalischen Lärm der Rotoren mischten sich die Rufe der Soldaten. Lüder konnte die Worte nicht vernehmen, aber nach wenigen Sekunden war der Spuk vorbei. Vier der Geiselnehmer, an der Spitze Youssef Galaydh, trotteten im Gänsemarsch mit hinter dem Nacken verschränkten Armen aus dem Unterstand heraus. Der Teamleiter der Soldaten ließ die Somalier im Hof antreten, dirigierte sie so, dass zwischen ihnen jeweils ein größerer Abstand war, und sicherte mit seinem Gewehr zwei seiner Männer, die die Geiselnehmer einzeln nach Waffen absuchten. Lauten Protest gab es, als man ihnen auch die Kopfbedeckung abnahm. Es half nichts. Dort wurde ein Messer entdeckt, das ebenso wie die Pistole und zwei Dolche auf einen für die Geiselnehmer unerreichbaren Haufen geworfen wurde.
Lüder hatte schon oft bei Polizeieinsätzen beobachtet, dass der rote Punkt auf dem Körper des Gegners starken Eindruck machte und seine psychologische Wirkung nicht verfehlte. Der Betroffene konnte selbst erkennen, dass ihn der Schütze ins Visier genommen hatte.
Lüder war froh, dass der Einsatz bisher ohne Blutvergießen abgelaufen war. Zum Glück schienen die Geiselnehmer keine fanatischen Islamisten zu sein, sondern eher Kriminelle, die nicht aus religiöser Überzeugung die Tat begangen hatten. So blieb allen ein tödliches Finale im schmutzigen Staub am Horn von Afrika erspart. Zwei Tote – das reichte. Ein Selbstmordattentäter hätte ein schlimmeres Unheil anrichten können.
Lüder zählte insgesamt sechzehn Soldaten in Tarnanzügen. Zwei brachen jetzt die Bohlentür auf.
Keiner der Gefangenen war sitzen geblieben. Alle standen im Halbkreis zur Tür gewandt. Als das Sonnenlicht in die Hütte fiel, ertönten zunächst verhaltene, dann offene Freudenschreie. Die Männer der Besatzung umarmten sich, selbst Kalynytschenko war die Erleichterung anzumerken. Kapitän Syrjanow behielt auch in dieser Situation seine Würde, während Hans-Günter Schöster im Hintergrund blieb und lediglich an seinen entspannten Gesichtszügen ersichtlich war, dass Angst und Stress auch von ihm abzufallen schienen.
Lüder bekam plötzlich einen heftigen Schlag aufs Schulterblatt, dass er einen Schritt vorwärtstaumelte.
»Mensch, Achim, was ist das für ein Tag«, hörte er einen überschwänglichen Hein Piepstengel hinter sich. Dann drängte sich der Maschinist an allen vorbei und fiel dem ersten Soldaten, der ihm begegnete, um den Hals.
»Mensch, Junge, du hast keine Ahnung, wie sich der alte Hein über deine Anwesenheit freut.« Er knuffte ihn auf den Oberarm. »Wie heißt du?«
»Oberbootsmann Mehring«, sagte der Soldat immer noch irritiert von der stürmischen Begrüßung.
Erneut knuffte ihn Piepstengel auf den Oberarm. »Hast du auch einen Vornamen?«
»Lutz«, antwortete der Soldat militärisch knapp.
Piepstengel legte seinen Arm um die Schulter des Oberbootsmannes und drängte ihn ab.
»Heute Abend gebe ich einen aus. Da lassen wir beide es krachen, dass die Leber glüht«, hörte Lüder den Hamburger sagen.
Nach und nach traten die Gefangenen ins Freie. Viele zögerten. Ihre Schritte waren unsicher, als könnten sie es immer noch nicht fassen.
Piepstengel war ein paar Schritte weiter stehen geblieben und streckte die Faust in die Luft, als hätte er eine Schlacht gewonnen.
»Ja!«, rief er und zeigte in die Runde. »Das sind unsere Jungs von der Marine, was? Ich Trottel habe nicht gedient. Wenn ich das gewusst hätte …« Sofort nahm er wieder den Oberbootsmann für sich in Beschlag und redete auf den Gruppenführer ein.
Der Kommandoführer trat zu ihnen heran.
»Herr Dr. Lüders?«, fragte er in die Runde.
»Hier«, meldete sich Lüder, der hinter Schöster und vor dem Kapitän ins Freie getreten war. Syrjanow hatte darauf bestanden, das Gefängnis als Letzter zu verlassen.
Schöster blieb abrupt stehen und drehte sich um.
»Lüders? Ich denke, Sie heißen Achim
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