Fahrt zur Hölle
ordnungsgemäß vom Zoll verplombt.«
»Trotzdem.«
Wang Li trat einen Schritt zur Seite, um Piepstengel Platz zu machen. Geschickt öffnete der Maschinist den Container. Kurz darauf schwang die Tür zurück.
»Vorsicht«, schrie Piepstengel.
Lüder konnte im letzten Moment ausweichen, strauchelte dabei aber und war dankbar, dass Wang Li ihn stützte, sonst wäre er hingeschlagen. Bis zum Abgrund waren es vielleicht zwei Meter.
In den Stahlbehälter waren Paletten geschoben, auf denen Holzkisten gestapelt waren. Die aus groben Brettern gezimmerten Behältnisse waren seitlich mit Aufschriften besprüht, die mit Schablonen aufgebracht waren.
»Machine parts – caution – handle with care« , las Lüder. An anderer Stelle der Kisten war »Made in India« aufgetragen.
»Wir sind vorsichtig«, sagte Lüder. »Und wir behandeln das Ganze auch mit Sorgfalt.« Er drehte sich zu Piepstengel um. »Kannst du die Seitenwand der Holzkiste aufbrechen?«, bat er, da zwei Kisten übereinandergestapelt waren und der Platz im Container nicht ausreichte, um den Deckel zu öffnen.
Es war ein riskantes Unterfangen. Sie konnten die Kisten nicht ausladen, um zu prüfen, was sich in der zweiten oder der dritten Reihe verbarg. Lüder hatte nur diese eine Chance.
»Aber gern. Im Öffnen bin ich der Größte«, sagte Piepstengel grinsend auf Deutsch. »Egal, ob bei Miedern oder bei Kisten aus Indien.«
Er setzte ein Brecheisen an, schlug es mit wenigen kräftigen Hammerschlägen in das Holz, fasste das Brecheisen und drückte mit einem kräftigen Ruck das Brett heraus. Knirschend zerbrach es. Dahinter tauchte Holzwolle auf.
»Spannend«, sagte Piepstengel.
Auch der Zweite Offizier war näher getreten.
Lüder griff durch die Öffnung und zog ein Knäuel heraus, bis er auf den nächsten Behälter stieß.
»Da möchte ich hineinsehen«, sagte er.
»Aye, aye«, erwiderte Piepstengel, brach noch eine zweite Leiste heraus und arbeitete sich an die innere Kiste vor. Auch dort stemmte er mit dem Brecheisen ein Loch hinein, bis sie Einblick in die Kiste hatten. Dann zuckte er zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Teufel. Was ist das?«, rief er aufgebracht. »Das ist ja …«
Er wich zur Seite, um Lüder Einblick zu gewähren. Der warf einen Blick auf die Maschinenteile, zog und zerrte daran, bis er sie ins Freie bekam, und hielt sie den beiden Seeleuten hin. Selbst Wang Li, auf dessen Gesicht nie eine Regung zu erkennen war, zeigte sich überrascht.
»Das ist ein Granatwerfer«, erklärte Lüder und suchte die Seriennummer auf dem Lauf, anschließend auf dem Verschluss. »Hier.« Er zeigte den beiden die gelaserte Nummer. »Man hat sich nicht einmal der Mühe unterzogen, die Kennung der deutschen Fertigung zu beseitigen.«
»Deutsche Kriegswaffen?« Piepstengel konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Und so ’n Scheiß haben die uns als Fracht untergejubelt?« Er klopfte gegen die Kiste. »Aber da steht doch ›Maschinenteile‹ drauf.«
»Sollten die Exporteure dort für jeden sichtbar vermerken: ›Nicht hineinsehen. Hier sind Kriegswaffen drin‹?«
Piepstengel lachte. »Sag mal, woher hast du das gewusst? Ich mein, die Kisten waren doch anders deklariert. Hast du einen Tipp bekommen?«
»Das ist Polizeiarbeit«, wich Lüder aus.
Er hatte aus der gesamten Konstellation die Vermutung hergeleitet, dass mit der Ladung etwas nicht stimmen konnte. Zwischendurch hatte er auch an Rauschgift gedacht. Aber dieser Fund war noch brisanter.
»Die Waffe nehmen wir mit«, sagte er und fotografierte den Container mit einer kleinen Digitalkamera, die er sich an Bord der Fregatte ausgeliehen hatte.
»Wir können den Container wieder schließen«, entschied er dann. »Jetzt möchte ich noch in andere hineinsehen.«
Wang Li informierte Syrjanow über den Fund.
»Der Kapitän ist erschüttert«, erklärte er dann. »Er sagt, wir sollen auch in andere indische Container hineinsehen, so wie wir es für notwendig erachten.«
Das erwies sich als schwierig, und sie konnten nur drei weitere Container öffnen. In einem fanden sie eine Panzerabwehrlenkwaffe, eine Rakete, die von einer tragbaren Basis zur Bekämpfung von gepanzerten Fahrzeugen, aber auch als Boden-Luft-Rakete gegen Kampfflugzeuge und Hubschrauber eingesetzt werden konnte. Nachdem Lüder das erklärt hatte, wurde Piepstengel blass.
»Mit so ’n Ding hätten die Piraten die Hubschrauber der ›Sachsen‹ vom Himmel holen können. Dübel ock.«
Lüder nickte ernst.
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