Fahrt zur Hölle
ohne es auszusprechen. Er traute dem Kieler Juristen zu, dass der so lange suchen würde, bis er Gründe fand, um das Verfahren gar nicht erst zu eröffnen. Aber gegen wen? Das war noch ungeklärt. Noch hatte man die Hintermänner nicht identifiziert.
»Ach, noch eine Frage. Ist das Lösegeld für die ›Holstenexpress‹ inzwischen überwiesen? Oder konnte die klamme Reederei es sparen, weil die Bundeswehr eingeschritten ist? Das war übrigens eine mutige Entscheidung des Verteidigungsministers. Sie sollten am Kabinettstisch nicht versäumen, darauf hinzuweisen.«
Rukcza beendete das Gespräch, indem er wortlos auflegte.
Es verging eine weitere halbe Stunde, bis die beiden Bordhubschrauber zurückkehrten und auf dem Flugdeck am Heck der »Sachsen« niedergingen. Dort befand sich nicht nur der Tower, der an die Kabine eines gläsernen Fahrstuhls an der Außenseite eines Gebäudes erinnerte, sondern auch die Hangars für die Fluggeräte.
Lüder musste sich weitere zwanzig Minuten gedulden, bis er zum Kommandanten gerufen wurde. Fregattenkapitän Beckers wies auf seinen Chef der Bordfliegerei.
»Alles erledigt«, berichtete Kapitänleutnant Schröderjahn und wirkte dabei wie ein Lausbub, der jemandem erfolgreich einen Streich gespielt hatte. »Wir haben ein bisschen Lärm gemacht. Die Somalis haben zunächst ein wenig geschossen, aber unpräzise. Als unsere beiden Speedboote aufkreuzten, haben die Piraten das Heil in der Flucht gesucht. Wir haben sie Richtung Strand verfolgt und dort von ihren Booten weggetrieben. Anschließend haben wir ihre Fahrzeuge zerstört. Leutnant Vahrenholt ist an Bord der ›Holstenexpress‹ und erwartet die Besatzung zur Übergabe.«
Die wartete schon ungeduldig darauf, auf ihr Schiff zurückkehren zu können. Bis auf Hans-Günter Schöster waren alle Männer dabei. Die Speedboote der ›Sachsen‹ brachten die Seeleute, denen sich Lüder angeschlossen hatte, zum Containerschiff. Lüder wunderte es nicht, dass es ihm am schwersten fiel, die Leiter zu entern, um an Bord der ›Holstenexpress‹ zu gelangen. Zwei Matrosen empfingen ihn an der Reling, kräftige Hände packten ihn an den Oberarmen und zogen ihn an Deck.
Kapitän Syrjanow hatte Wort gehalten und Lüder noch auf der Fregatte eine schriftliche Erklärung ausgehändigt, dass er sein Einverständnis für den Blick in die indischen Container erteile.
Lüder warf einen Blick hinab auf die Wasseroberfläche. Obwohl es größere Containerschiffe als die ›Holstenexpress‹ gab, kam er sich vor, als stünde er auf dem Dach eines Hochhauses. Syrjanow hatte es bemerkt und zeigte nach oben. Lüder zählte sechs Lagen Container.
»Da müssen Sie hoch«, erklärte der Kapitän. »Auf eigene Verantwortung. Mein Zweiter wird Sie begleiten.«
»Ich hätte gern, dass Hein Piepstengel auch dabei ist«, sagte Lüder.
Syrjanow runzelte die Stirn.
»Gut«, sagte er schließlich.
Deutlich war dem Russen anzumerken, dass er sich auf seinem Schiff wohler fühlte. Hier war er zu Hause. Dies war sein Reich. Das Zögerliche, das Lüder an Syrjanow beobachtet hatte, war von ihm abgefallen. Klar und präzise erfolgten die Anweisungen.
»Na, dann wollen wir mal«, erklärte Piepstengel, als er auftauchte und eine Art Rucksack umgeschnallt hatte. »Ich habe ein bisschen Werkzeug dabei«, sagte er. »Außerdem das hier.« Er reichte Lüder ein paar solide Arbeitshandschuhe. »Die wirst du brauchen. Also: Auf geht’s. Wir müssen nur sehen, wo Fu Man Chu steckt.«
Wenig später kehrte er mit dem Zweiten Offizier zurück. Wang Li war bereits durch den Kapitän instruiert worden.
Es war ein abenteuerlicher Aufstieg, bis sie die oberste Reihe erreicht hatten. Obwohl das Schiff auf Reede lag und die See spiegelblank war, bewegte es sich leicht, und Lüder musste das Gleichgewicht immer wieder austarieren. Ein metallisches Knirschen war zu hören, wenn die Stahlbehälter aneinanderrieben.
»Manchmal muss die Mannschaft während der Überfahrt hier hoch«, erklärte Piepstengel. »Wenn wir schwere See haben, dann musst du höllisch aufpassen, damit du nicht irgendwo zwischengerätst. Du hörst es nicht mal, wenn deine Knochen zermalmt werden.«
Wang Li hatte sich zu einem blauen Container vorgearbeitet, dessen Tür zugänglich war. Er verglich die Nummer noch einmal mit einem Computerausdruck, den er in Händen hielt.
»Wollen wir es hier versuchen?«, fragte er Lüder.
Der nickte.
Der Zweite Offizier zeigte auf die Plombe. »Der Behälter ist
Weitere Kostenlose Bücher