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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Henning besorgt hatte, hatte den Wagen auf das Kennzeichen HH-HB 236 zugelassen. Berkenkamp war zunächst von diesem Nummernschild angetan gewesen, bis ihm einfiel, dass HB nicht nur die Abkürzung für »Henning Berkenkamp«, sondern auch für »Hansestadt Bremen« war, und wenn es eine Stadt gab, die John Berkenkamp nicht mochte, dann war dasBremen. Berkenkamp hatte die ärgerlichsten Monate seines Lebens bei einer Frau verbracht, die in Bremen wohnte, in einem Ortsteil namens Schwachhausen. Um nach Schwachhausen zu kommen, musste man durch eine Straße fahren, die allen Ernstes »Am schwarzen Meer« hieß, obwohl sie an überhaupt keinem Meer lag, sondern zwischen dem Zentralkrankenhaus und dem Weserstadion, so etwas war typisch für Bremen – und es erschien ihm, je länger er das Nummernschild betrachtete, umso ärgerlicher, dass die Initialen seines Sohnes mit denen einer sturzlangweiligen Kleinstadt bei Hannover übereinstimmten, eine Tatsache, die er bei der Wahl des Namens Henning nicht bedacht hatte und die ihm wie eine Rache für die Abkehr vom generationenalten Prinzip der Benennung männlicher Berkenkamps mit dem Namen John erschien. Er würde den Wagen auf ein nichtssagendes Kennzeichen ummelden lassen, irgendeine belanglose Kombination.
     
    Auf der Suche nach Chromputzmitteln betrat Berkenkamp die Garage durch die Seitentür. Das Haupttor wurde von einem kleinen Segelboot versperrt, das seit Jahren unter einer blauen Plane vor sich hin moderte. In seinen jungen und wilderen Tagen war Berkenkamp, um Geld zu verdienen und etwas von der Welt zu sehen, zur See gefahren, er war auf Frachtern bis nach Afrika gekommen, und seitdem ließen ihn Dinge, die zur Seefahrt gehörten, nicht mehr los. Neben einem Segelboot, das entgegen seinem tatsächlichen Zustand Optimist hieß, hortete Berkenkamp in der Garage eine Sammlung bunter Plastikschwimmer, grüner Fangnetze, alter Messinginstrumente, Pinnen und Steuerräder; hätte man alles miteinander verschraubt, hätte der Garageninhalt einen anständigen Kutter ergeben.
    John Berkenkamp begab sich im Halbdunkel der Garage auf die Suche. Er fand das Chrompflegezeug nicht, dafür allerlei andere Sachen, von denen er nicht wusste, wie sie in das Strandhaus gekommen waren: eine rote Black-&-Decker-Bohrmaschine, einen Wolf-Rasenmäher mit verrosteten Klingen, der in der sandigen Dünenlandschaft keinen erkennbaren Nutzen hatte, eine Dose Bienenwachsbalsam für Innenanstriche, eine gelbe Packung Substral-Blumendünger »für alleBlühpflanzen in Balkonkästen, Kübeln, Beeten und auf Gräbern« (Gräber auch – Teufel, dachte Berkenkamp und erschrak), dazu eine Dose Color-Spray.
    Durch die halbgeöffnete Schuppentür sah man Heidemarie Berkenkamp, die einen Moment vor dem in den Dünen geparkten Mercedes innehielt und dem Auto einen vernichtenden Blick zuwarf.
    »John, dein Kaffee wäre fertig«, rief sie durch den Türspalt.
     
    Als Henning, Anna und Bernd-Carsten gegen zwölf Uhr geräuschvoll vor das Haus traten, lag John Berkenkamp auf der windgeschützten Terrasse in der Sonne und schlief. Das Lacoste-Hemd hatte er unter dem Kopf zusammengeknüllt, und als er von dem Getrampel hochschreckte, zeigte sich auf seinem roten Gesicht der Abdruck eines kleinen Krokodils.
    »Guten Morgen, Herr Berkenkamp«, sagte Bernd-Carsten, der an einer vielversprechenden Privatuniversität in der Schweiz Wirtschaft studierte und zur Begrüßung sein wirtschaftlichstes Lächeln aufsetzte. Sein Vater betrieb hinter Bad Bramstedt einen Düngemittelvertrieb und hatte seinem Sohn das phlegmatische Temperament schleswig-holsteinischer Unternehmer vererbt. Als Berkenkamp die Augen öffnete, schaute er direkt in das Gesicht seines potentiellen Schwiegersohns. Bernd-Carsten hatte ihm, als Anna ihn das erste Mal mit nach Hause brachte, eine Visitenkarte überreicht, auf der in einer anspruchsvollen Schrift, wie sie Adlige für Hochzeitseinladungen bevorzugen, »B. C. Langmann« stand. Er hatte ein längliches und blasses, weitgehend ausdrucksloses Gesicht, in dem nur die hochstehenden Augenbrauen hervorstachen. Wenn er nicht mit schleppender Stimme seine Meinung zum Weltgeschehen äußerte, saß er mit leicht offenstehendem Mund über Lehrbüchern der Betriebswirtschaft. Sein Kopf ragte meist aus einem gemusterten Seidentuch heraus; er sah aus wie ein modebewusster Karpfen.
     
    John Berkenkamp zog sich sein zerknülltes Hemd über den rotverbrannten Bauch, und als er den missbilligenden

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