Faith (German Edition)
Vermutung hatte sie nicht getrogen.
Der schwarze Vogel saß auf der Schulter der alten Herrscherin, die die lange Kette, die der Rabe ihr gebracht hatte, durch die Finger gleiten ließ.
„Was hast du da?“
Annabelles Stimme kippte fast, ihre violetten Augen wurden schmal. Sie fixierte gierig und zugleich misstrauisch den Gegenstand in den Händen der Alten.
„Eine Kette, meine Liebe, nur eine Kette. Soweit ich sehen kann. Du weißt ja, wie diese Raben klauen.“
„Zeig her!“
Fordernd streckte Annabelle die Hand aus. Corax schwang sich kurz hoch und zischte warnend.
„Ruhig, ganz ruhig.“
Die Alte strich sanft über seine glänzenden Federn. Sie ließ die Kette in Annabelles ausgestreckte Rechte fallen.
Argwöhnisch betrachtete diese die Kette und sah fragend hoch.
„Ist das alles?“
„Was hast du denn erwartet?“
Die alte Herrscherin versuchte, ihre Gedanken zu zügeln. Sie musste vermeiden, dass Annabelle in ihren Erinnerungen las. „Natürlich ist das die Kette, die ich viele Jahre selbst getragen habe“, dachte sie. „Allerdings fehlt das – aus zwei Teilen bestehende – zauberhafte Medaillon.“
Sie versuchte, das Lächeln zu unterdrücken, als sie daran dachte, dass das nur eines bedeuten konnte. Faith musste das Schmuckstück jetzt haben. Sie fand im Kopf des Raben das Bild, das sie gesucht hatte. Sah die schmale Hand ihrer Enkeltochter, die den Schmuck umfasste.
„Ich behalte sie.“ Annabelle umklammerte die goldene Kette.
„Ach, Annabelle, du besitzt so viel und willst immer noch mehr. Wann lernst du, dass man nicht immer nur fordern kann?“
Die alte Herrscherin ging neben Annabelle her zur großen Freitreppe. Oben angekommen, wandte sie sich um, streckte die Hände aus und spreizte die Finger.
Wie von Zauberhand verdrängte ein Blumengarten die steppenartige Monotonie des Vorlandes mit den blauen Beeren, deren Saft inzwischen keine der Alten mehr zu sich nahm.
Wollgräser wiegten sich plötzlich sanft im Wind. Dazwischen funkelten Sonnenröschen und winzige, in allen Farben glühende Orchideen. Sumpfherzblatt, Knabenkraut und leuchtende Polster von Primeln breiteten sich aus.
„Reizend.“
Annabelle durchschritt eilig, ohne Abschiedsgruß, das Eingangsportal des Schlosses und betrat die Halle. Kaum fühlte sie sich unbeobachtet, verzog sich ihr schönes Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Die Alte hatte ihr gezeigt, dass ihre Magie auch ohne das Zeichen der Macht noch ungeschmälert war.
Ein belustigtes Lächeln verjüngte die ausdrucksvollen Züge der alten Frau, als sie Annabelle, deren Haltung Bände sprach, hinterher sah.
Magalie unwiderstehlich
Robert ließ den Schlüssel stecken und sprang aus dem Wagen. Es war schon dunkel geworden, aber die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Wärme blieb.
Noch bevor er die Tür seines Hauses erreicht hatte, öffnete sie sich von selbst.
Magalie!
Sie war so schön.
Robert konnte den Blick nicht von ihr lassen. Ihre grünen Augen strahlten, ihr großzügiger Mund schenkte bereitwillig ein mitreißendes Lächeln. Wenn sie wollte, verströmte Magalie Wärme und eine unendliche Freude am Leben an die, die sie liebte. Aber sie konnte auch zum Eisblock werden. Ihr Eigensinn war legendär.
Er lächelte, als er daran dachte, mit welcher Unnachgiebigkeit sie durchsetzte, was sie wollte. Wenn sich ihr Charme und ihre Sturheit paarten, war ihr niemand gewachsen. Sie war immer eine Prinzessin gewesen, geliebte Tochter eines Vaters, der sie vergötterte. Das Ergebnis war bezaubernd und unwiderstehlich, eben Magalie.
„Wir müssen reden, Robert.“ Magalie löste sich von ihm und sah aus dem Fenster.
„Worüber?“
Robert wartete. Magalie rührte sich nicht.
„Magalie!“
Endlich drehte sie sich um.
„Du musst nicht sterben. Es gibt eine Möglichkeit, dir dein Leben wiederzugeben.“
Robert hörte fassungslos zu, als sie ihm von der Feuersäule hinter dem Wasserfall berichtete.
„Du glaubst nicht im Ernst, dass ich in diese Höhle gehe. Das ist doch Irrsinn. Lass mir einfach die Zeit, die mir noch bleibt. Dann lass mich gehen.“
Robert saß, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in seinen Händen vergraben, auf dem alten Sofa vor dem kalten Kamin. Er dachte an seine Tochter. Sie war noch so jung, so verletzlich. Sie würde ihn brauchen, ihn vermissen.
„Bleib bei uns, ich bitte dich.“
Er spürte Magalie neben sich. Als sie die Arme um ihn schlang, begriff er, dass er es versuchen würde.
Seine Liebe
Weitere Kostenlose Bücher