Falken: Roman (German Edition)
glaubt ihnen nicht.«
»Sie sollte ihre Leichtgläubigkeit ein wenig pflegen.«
»Sie sagt: Ich kann ihn immer zurückbekommen, ich weiß, wie. Und Sie wissen, dass es ihr immer gelungen ist. Aber was mit Harry Norris auch gewesen sein mag, ich werde nicht bei ihr bleiben. Ich weiß, sie würde ihn mir wegnehmen, ohne Bedenken, wenn sie es nicht schon getan hat. So können Damen nicht miteinander umgehen. Lady Rochford kann auch so nicht weitermachen. Jane Seymour ist bereits weg, wegen … nun, ich werde nicht sagen, weswegen. Und Lady Worcester muss im Sommer nach Hause ins Wochenbett.«
Er sieht, wie sich die Augen der jungen Frau bewegen, kalkulieren, zählen. Für sie lauert da ein Problem: ein Problem mit dem Personal in Annes Gemächern. »Aber ich nehme an, in England gibt es genug Ladies«, sagt sie. »Es wäre gut, wenn sie noch einmal neu anfinge. Ja, ein neuer Anfang. Lady Lisle aus Calais möchte gern ihre Töchter schicken. Ich meine, die Töchter von ihrem ersten Mann. Es sind hübsche Dinger, und ich denke, sie werden sich als sehr anstellig erweisen, wenn sie richtig eingewiesen werden.«
Es ist, als hätte Anne Boleyn sie alle mit einem Zauber belegt, Männer wie Frauen, sodass sie nicht sehen können, was um sie herum vorgeht, und die Bedeutung der eigenen Worte nicht verstehen. Sie haben so lange in Dummheit gelebt. »Schreiben Sie Honor Lisle«, sagt Mary voller Überzeugung. »Anne wird Ihnen ewig dankbar sein, wenn sie Lady Lisles Töchter an den Hof bekommt.«
»Und Sie? Was werden Sie tun?«
»Ich werde nachdenken«, sagt sie. Sie ist nie lange niedergeschlagen. Deshalb mögen die Männer sie. Es gibt immer neue Gelegenheiten, neue Männer, neue Verhältnisse. Sie springt auf die Füße und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.
Es ist Samstagabend.
Sonntag: »Ich wünschte, Sie wären heute Morgen hier gewesen«, sagt Lady Rochford mit Genuss. »Das war ein Erlebnis. Der König und Anne gemeinsam im großen Fenster, sodass alle unten im Hof sie sehen konnten. Der König hatte von ihrem Streit gestern mit Norris gehört. Nun, ganz England hat davon gehört. Alle konnten sehen, dass er außer sich war, er war ganz lila. Sie stand mit den Händen auf die Brust gedrückt da …« Sie macht es ihm vor. »Sie wissen schon, wie Königin Esther auf dem großen Teppich des Königs?«
Er kann sie sich leicht vor Augen rufen, diese reich ausgestaltete Szene, gewobene Höflinge, um ihre verzweifelte Königin versammelt. Eine unbesorgt wirkende Magd hält eine Laute in Händen, vielleicht ist sie damit zu Esthers Gemächern unterwegs. Andere schwatzen leise miteinander, die Frauen mit aufblickenden, ebenen Gesichtern, die Männer mit gesenkten Köpfen. Er hat unter diesen Höflingen mit ihrem Schmuck und ihren kunstvollen Hüten vergeblich nach seinem eigenen Gesicht gesucht. Vielleicht ist er anderswo, verschwörerisch: ein gerissenes Geflecht, ein zerfasertes Ende, ein unentwirrbares Knotenbündel. »Wie Esther«, sagt er. »Ja.«
»Anne muss nach der kleinen Prinzessin geschickt haben«, sagt Lady Rochford, »denn jetzt kam ein Kindermädchen mit Elizabeth dazu, und Anne nahm sie und hielt sie in die Höhe, als wollte sie sagen: ›Ehemann, wie kannst du bezweifeln, dass dies deine Tochter ist?‹«
»Sie nehmen an, dass er das infrage stellte. Hören konnten Sie es nicht.« Seine Stimme ist kalt. Er spürt es, und die Kälte überrascht ihn.
»Nicht von dort, wo ich stand. Aber ich bezweifle, dass ihr das hilft.«
»Sind Sie nicht zu ihr gegangen, um sie zu trösten? Wo sie doch Ihre Mistress ist?«
»Nein. Ich habe gleich nach Ihnen gesucht.« Sie nimmt sich zusammen und klingt plötzlich ernüchtert. »Wir, ihre Frauen, wir wollen alles sagen, um uns zu retten. Wir haben Angst, dass sie nicht ehrlich ist und uns am Ende die Schuld gegeben wird, es verheimlicht zu haben.«
»Im Sommer«, sagt er, »nicht im letzten Sommer, sondern dem vorher, da sagten Sie mir, Sie glaubten, die Königin wolle unbedingt ein Kind und habe Angst, der König könne ihr keines schenken. Sie sagten, er könne die Königin nicht befriedigen. Würden Sie das heute wiederholen?«
»Ich bin überrascht, dass Sie keine Mitschrift unseres Gesprächs haben.«
»Es war ein langes Gespräch und, bei allem Respekt, Mylady, voller vager Hinweise und wenig konkret. Ich will wissen, was Sie wiederholen würden, wenn man Sie vor Gericht vereidigte.«
»Wer kommt vor Gericht?«
»Genau das hoffe ich herauszufinden.
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