Falken: Roman (German Edition)
besser sind als er. Aber das bringt die drei enger zusammen, enger, als ihnen lieb ist. Sie sehen einander nicht an, wie er bemerkt, sie schieben und drängen, um möglichst viel Raum für sich zu schaffen, scheinen voreinander zurückzuweichen und zupfen an Jacken und Ärmeln. Nur Mark wird sich schuldig bekennen. Er war in Ketten gelegt, damit er sich nicht umbringen konnte: was sicher eine Barmherzigkeit war, da er es ohnehin verpfuscht hätte. So gelangt er körperlich heil vor Gericht, wie versprochen ohne sichtbare Verletzungen, jedoch unfähig, seinen Tränen Einhalt zu gebieten. Er fleht um Gnade. Die anderen Angeklagten äußern sich dem Gericht gegenüber knapp, aber respektvoll: drei Helden der Arena, die den unangreifbaren Gegner, den König von England selbst, auf sich niederfahren sehen. Sie können einzelne Angaben infrage stellen, aber die Anklagen, ihre Daten und Einzelheiten, rauschen ungeheuer schnell an ihnen vorbei. Sie können Punktgewinne erzielen, wenn sie darauf bestehen, doch die zögern das Unvermeidliche nur hinaus, und das wissen sie. Als sie hineingehen, stehen die Wachen mit abgekehrten Hellebarden da; später, als sie verurteilt wieder herauskommen, deuten die Klingen in ihre Richtung. Sie drängen durch das Getümmel, tote Männer: Durch die Reihen der Hellebardiere werden sie zum Fluss gestoßen und zurück in ihr vorübergehendes Zuhause, ihren Vorraum, um ihre letzten Briefe zu schreiben und sich seelisch vorzubereiten. Alle haben Reue ausgedrückt, doch allein Mark hat gesagt, wofür.
Ein kühler Nachmittag: Als sich die Menge zerstreut hat und das Gericht auseinandergegangen ist, sitzt er an einem offenen Fenster, sieht zu, wie die Schreiber ihre Unterlagen ordnen, und sagt: Ich gehe nach Hause. Ich reite zu meinem Haus in der City, nach Austin Friars, schickt die Unterlagen zur Chancery Lane. Er ist das Oberhaupt der Zwischenräume und Pausen, der Lücken und des Gelöschten, dessen, was fehlt, fehlinterpretiert oder einfach falsch übersetzt wird, als die Kunde vom Englischen ins Französische wechselt und vielleicht über das Lateinische ins Kastilische und die italienischen Dialekte, als sie durch Flandern in die östlichen Territorien des Kaisers dringt, über die Grenzen der deutschen Fürstentümer hinaus nach Böhmen und Ungarn und in die verschneiten Reiche dahinter, mit Handelsseglern nach Griechenland und in die Levante, nach Indien, wo sie noch nie von Anne Boleyn gehört haben, ganz zu schweigen von ihren Liebhabern und ihrem Bruder, über die Seidenstraße nach China, wo auch Henry gänzlich unbekannt ist, der Achte dieses Namens, wie auch alle anderen Henrys, und selbst die Existenz Englands ist dort nicht mehr als ein dunkler Mythos, ein Ort, an dem die Männer ihre Münder in den Bäuchen haben und die Frauen fliegen können, wo Katzen über das Gemeinwohl herrschen und Menschen vor Mäuselöchern kauern, um für ihr Abendessen zu sorgen. In der Diele in Austin Friars bleibt er einen Moment lang vor dem großen Bild Salomos und der Königin von Saba stehen. Der Teppich hat einmal dem Kardinal gehört, aber der König hat ihn ihm abgenommen, und dann, nach Wolseys Tod und nachdem er, Cromwell, in seiner Gunst gestiegen war, hat Henry ihn ihm geschenkt, als sei er beschämt und wolle seinem wahren Eigentümer etwas zurückgeben, was er nie hätte nehmen sollen. Der König hatte ihn mehr als einmal sehnsuchtsvoll das Gesicht der Königin von Saba betrachten sehen, nicht weil er, Cromwell, eine Königin begehrte, sondern weil sie ihn zurück in seine Vergangenheit trug: zu Anselma, einer Antwerpener Witwe, die er womöglich geheiratet hätte, denkt er oft, hätte er sich nicht plötzlich dazu entschieden, zurück nach England zu gehen, zurück zu seinem eigenen Volk. In jenen Tagen hatte er Entscheidungen rasch gefällt: nicht ohne Überlegung, nicht ohne Sorgfalt, aber wenn er erst einmal zu einem Schluss gekommen war, folgte er ihm schnell. Und so ist er immer noch. Wie seine Gegner feststellen werden.
»Gregory?« Sein Sohn ist noch in seinen Reitsachen, voller Staub von der Straße. Er umarmt ihn. »Lass mich dich ansehen. Warum bist du hier?«
»Sie haben nicht gesagt, dass ich nicht kommen darf«, erklärt Gregory. »Sie haben es mir nicht verboten. Im Übrigen habe ich die Kunst des öffentlichen Sprechens erlernt. Wollen Sie hören, wie ich eine Rede halte?«
»Ja. Aber nicht jetzt. Und du solltest nicht ohne wenigstens einen oder zwei Begleiter über
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