Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
erkennen sie Anne auch heute noch nicht wirklich als Königin an und sind damit nicht überzeugt, dass ihre Tochter das rechtmäßige Kind des Königs ist. Anne weiß, was hinter ihrer Zurückhaltung steckt, und irgendwie ist es sein Fehler: seiner, Thomas Cromwells. Sie hat ihm öffentlich vorgeworfen, sie zu sabotieren. Er möge die Franzosen nicht und sei deshalb gegen eine Allianz, behauptete sie. Ist er nicht der Möglichkeit aus dem Weg gegangen, das Meer zu überqueren und mit den Franzosen von Angesicht zu Angesicht zu verhandeln? Sie seien bereit dazu gewesen, sagt sie. »Sie wurden erwartet, Master Sekretär. Aber Sie sagten, Sie seien krank, und mein Bruder musste fahren.«
    »Ohne Erfolg«, seufzte er darauf. »Sehr bedauerlich.«
    »Ich kenne Sie«, sagte Anne. »Sie sind niemals krank, es sei denn, Sie wollen es sein. Und im Übrigen sehe ich, wie es mit Ihnen steht: Sie denken, solange Sie in der City sind und nicht bei Hofe, haben wir Sie nicht im Auge. Ich weiß jedoch, wie gut Sie mit dem Mann des Kaisers stehen. Ich weiß, dass Chapuys Ihr Nachbar ist. Aber ist das Grund genug, dass Ihre und seine Dienerschaft ständig zwischen beiden Häusern hin und her wechselt?«
    Anne trug an jenem Tag Rosenrosa und Taubengrau. Die Farben hätten ihr einen frischen, mädchenhaften Liebreiz verleihen sollen, doch alles, woran sie ihn erinnerten, waren herausgezogene Eingeweide, Innereien und Kutteln, graurosa Gedärm, das aus einem lebenden Körper hing. Er dachte an die zweite Ladung widerspenstiger Klosterbrüder, die nach Tyburn gebracht und vom Henker aufgeschlitzt und ausgeweidet werden sollten. Sie waren Verräter und verdienten den Tod, aber es war ein Tod, der die meisten anderen an Grausamkeit übertraf. Die Perlen um Annes Hals sahen für ihn wie kleine Fettkügelchen aus, und während sie mit ihm disputierte, griff sie nach ihnen und zog daran. Er hielt den Blick auf ihre Fingerspitzen gerichtet, die Nägel blitzten wie winzige Messer.
    Trotzdem, sagt er zu Chapuys, solange ich in Henrys Gunst stehe, bezweifle ich, dass die Königin mir Schaden zufügen kann. Sie hat ihre Tücken und kleinen Wutanfälle, sie ist unbeständig, und Henry weiß das. Das war es, was den König fasziniert hat: jemanden zu finden, der so anders war als die weichen, netten Blonden, die durch die Leben der Männer treiben, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber heute wirkt er manchmal gehetzt, wenn Anne auftaucht. Sie können sehen, wie sein Blick in die Ferne wandert, wenn sie eine ihrer Tiraden loslässt. Wäre er nicht solch ein Gentleman, würde er sich den Hut über die Ohren ziehen.
    Nein, erklärt er dem Botschafter, Anne macht mir keine Sorgen. Es sind die Männer, die sie um sich sammelt. Ihre Familie: ihr Vater, der Earl of Wiltshire, der als »Monseigneur« bekannt sein möchte, und ihr Bruder George, Lord Rochford, den Henry zu einem seiner Kammerherren ernannt hat. George gehört zur neueren Belegschaft, weil Henry gern bei den Männern bleibt, die er gewohnt ist, die zu seinen Freunden zählten, als er jung war. Von Zeit zu Zeit hat der Kardinal sie hinausgekehrt, doch sie sind zurückgesickert wie Schmutzwasser. Einst waren sie junge Männer mit Esprit und Elan, ein Vierteljahrhundert später sind sie grau und werden kahl, sind wabbelig und dickbäuchig, haben keine Kraft mehr in den Waden oder ein paar Finger verloren, dabei sind sie anmaßend wie Satrapen und verfügen über die geistige Finesse eines Torpfostens. Und jetzt ist ein neuer Wurf Welpen da, mit Weston, George Rochford und ihresgleichen, die Henry zu sich holt, weil er denkt, sie hielten ihn jung. Seine Männer, die jungen wie die alten, sind vom Aufstehen bis zum Zubettgehen bei ihm, während all seiner Mußestunden. Sie sind auf dem Abort bei ihm, wenn er die Zähne putzt und in die Silberschüssel spuckt. Sie reiben ihn mit Handtüchern ab und schnüren ihn in Wams und Hose. Sie kennen seinen Körper, jeden Leberfleck, jede Sommersprosse und jede Borste in seinem Bart, und wenn er vom Tennisplatz kommt und sein Hemd auszieht, kartografieren sie die Schweißinseln auf seinem Leib. Wie seine Wäscherin und sein Arzt wissen sie mehr, als sie sollten, und sie reden über das, was sie wissen. Sie wissen es, wenn er die Königin besucht, um zu versuchen, ihr einen Sohn in den Leib zu prellen, oder wenn er am Freitag (dem Tag, an dem kein Christ kopuliert) von einer Phantomfrau träumt und sein Laken beschmutzt. Sie verkaufen ihr Wissen zu einem hohen

Weitere Kostenlose Bücher