Falken: Roman (German Edition)
in der Amputation der Tathand. Worum geht es bei dem Streit, will er fragen, ändert jedoch die Richtung: »Was ist ihre Entschuldigung?«
Denn stell dir Carew vor, einen von Henrys alten Freunden, einen seiner privaten Kammerherren und der alten Königin treu ergeben. Sieh ihn an, diesen alten Mann mit dem langen, ernsten Gesicht und seiner kultivierten Art, als wäre er geradewegs einem Buch über Ritterlichkeit entstiegen. Es ist keine Überraschung, wenn es Sir Nicholas mit seinem strengen Gespür für die Angemessenheit der Dinge unmöglich ist, sich vor George Boleyns Parvenü-Überheblichkeit zu verbeugen. Sir Nicholas ist Papist bis in die gepanzerten Zehen und bis ins Mark getroffen durch Georges Unterstützung der reformierten Lehre. Somit trennt die beiden eine Grundsatzfrage, aber welcher Auslöser hat den Streit zwischen ihnen auflodern lassen? Haben George und seine üble Gesellschaft vor Sir Nicholas’ Gemach Krach geschlagen, während der mit einer ernsten Aufgabe beschäftigt war, sich zum Beispiel im Spiegel zu bewundern? Er unterdrückt ein Lächeln: »Rafe, sprich mit den beiden Gentlemen. Sage Ihnen, sie sollen ihre Hunde an die Leine legen«, sagt er und fügt noch hinzu: »Du tust recht daran, hier darauf zu sprechen zu kommen.« Er ist immer interessiert, von den Zwisten zwischen Höflingen zu hören und wie es dazu gekommen ist.
Bald nachdem seine Schwester Königin geworden war, hatte George Boleyn ihn zu sich rufen lassen, um ihn mit Instruktionen zu versehen, wie er seine Karriere fortführen solle. Der junge Mann trug eine edelsteinbesetzte Goldkette zur Schau, die er, Cromwell, vor seinem inneren Auge wog. Gleichzeitig zog er George die Jacke aus, trennte die Nähte auf, wickelte den Stoff auf einen Ballen und taxierte ihn. Wenn du einmal im Stoffhandel warst, verlierst du dein Auge für das Material und seinen Fall nicht mehr. Wenn es deine Aufgabe ist, Einkünfte zu erzielen, lernst du bald schon, den Wert von Männern einzuschätzen.
Der junge Boleyn ließ ihn stehen, während er selbst im einzigen Sessel des Raumes saß. »Denken Sie daran, Cromwell«, fing er an, »dass Sie zwar zum Rat des Königs gehören, aber nicht von Geburt ein Gentleman sind. Sie sollten sich darauf beschränken, das Wort zu ergreifen, wenn es von Ihnen gefordert wird, und sich im Übrigen zurückhalten. Mischen Sie sich nicht in die Angelegenheiten derer ein, die über Ihnen stehen. Seiner Majestät gefällt es, Sie in seine Gegenwart zu holen, nur vergessen Sie nicht, wer Sie in die Position gebracht hat, in der er Sie sehen konnte.«
Sie ist interessant, George Boleyns Version seines Lebens. Er war immer davon ausgegangen, dass es Wolsey war, der ihn groß gemacht, der ihn gefördert und zu dem gemacht hat, der er heute ist: Aber George sagt Nein, es waren die Boleyns. So hat er denn auch noch nicht angemessen seinen Dank ausgedrückt. Was er jetzt tut: Ja, Sir, sagt er, und Nein, Sir, ich sehe, Sie sind ein Mann mit einem für Ihr Alter außergewöhnlich guten Urteil. Ja, Ihr Vater, der Monseigneur Earl of Wiltshire, und Ihr Onkel Thomas Howard, Herzog von Norfolk, sie könnten mich nicht besser instruieren. »Ich werde von diesem Gespräch profitieren, das versichere ich Ihnen, Sir, und mich fortan bescheidener betragen.«
George war besänftigt. »Sorgen Sie dafür.«
Der Gedanke an das Gespräch lässt ihn lächeln, und er kehrt zur aufgelisteten Tagesordnung zurück. Die Augen seines Sohnes Gregory schießen hin und her, während er aufzuschnappen versucht, was nicht ausgesprochen wird: von Richard Cromwell, von Nennt-mich-Risley, seinem Vater und den anderen Gentlemen, die hereingekommen sind. Richard Riche zieht die Brauen über seinen Papieren zusammen, Nennt-Mich tut mit seiner Feder herum. Beides unruhige Geister, denkt er, Wriothesley und Riche, und sich in mancher Weise ähnlich, sich an den Rändern der eigenen Seele entlangschlängelnd und die Wände abklopfend: Oh, was ist das für ein hohles Geräusch? Aber der König braucht Männer mit Talent, und sie sind gewandt, beharrlich und schonen sich nicht in ihren Anstrengungen für die Krone, und für sich selbst.
»Eine letzte Sache noch«, sagt er, »bevor wir auseinandergehen. Mylord der Bischof von Winchester hat den König so erfreut, dass der König ihn, auf mein Drängen, erneut als Botschafter nach Frankreich schickt. Der Gedanke ist, dass seine Botschaftertätigkeit nicht von kurzer Dauer sein wird.«
Verhaltenes Lächeln
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