Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
zögert, muss aber eindeutig reden. »Ich stelle ihn mir hinter Schloss und Riegel vor, während wir unser Festessen genießen. Was werden Sie für ihn tun, Thomas Cromwell?«
    Packington ist ein Mann des Evangeliums, ein Reformer, einer seiner ältesten Freunde. Als Freund breitet er seine Schwierigkeiten vor ihm aus: Er selbst kann nicht mit den Niederlanden verhandeln, dazu braucht er Henrys Erlaubnis, und Henry will sie ihm nicht gewähren, da ihm Tyndale in der Frage seiner Scheidung nicht beigestanden hat. Wie auch Martin Luther nicht. Tyndale glaubt, dass Henrys Ehe mit Katherine noch gültig ist, und keine politische Überlegung wird ihn zum Schwanken bringen. Du solltest annehmen, er würde sich beugen, um dem König von England dienlich zu sein und sein Freund zu werden. Aber Tyndale ist ein Starrkopf, einfach und stur wie ein Felsblock.
    »Muss unser Bruder also brennen? Ist es das, was Sie mir sagen? Frohe Weihnachten, Master Sekretär.« Packington wendet sich ab. »Es heißt, dass Ihnen dieser Tage des Geld folgt wie ein Spaniel seinem Herrn.«
    Er legt die Hand auf seinen Arm, »Rob …«, zieht sie zurück und sagt herzlich: »Sie haben nicht unrecht.«
    Er weiß, was sein Freund denkt. Der Master Sekretär ist so mächtig, dass er dem König ins Gewissen reden kann, und wenn er es kann, warum tut er es nicht, wenn er nicht gerade zu sehr damit beschäftigt ist, sich die Taschen zu füllen? Er will bitten: Gebt mir einen Tag frei, in Herrgotts Namen.
    Monmouth sagt: »Sie haben doch unsere Brüder nicht vergessen, die Thomas More verbrannt hat? Die er in den Tod getrieben hat? Denen er durch monatelange Einkerkerung den Willen gebrochen hat?«
    »Mit Ihnen ist es ihm nicht gelungen. Sie haben sein Ende erlebt.«
    »Aber er wirkt noch aus dem Grab heraus«, sagt Packington. »More hatte seine Leute überall, überall um Tyndale herum. Es waren Mores Agenten, die ihn verraten haben. Wenn Sie den König zu nichts bewegen können, vielleicht kann es die Königin?«
    »Die Königin braucht selbst Hilfe. Und wenn Sie ihr helfen wollen, sagen Sie Ihren Frauen, sie sollen ihre Giftzungen im Zaum halten.«
    Er zieht sich zurück. Rafes Kinder, seine Stiefkinder, rufen, er soll kommen und ihre Verkleidungen bewundern. Aber das so abgebrochene Gespräch hat einen sauren Geschmack in seinem Mund hinterlassen, der über die Festtage nicht vergeht. Anthony verfolgt ihn mit Scherzen, doch er wendet den Blick auf das Mädchen, das wie ein Engel verkleidet ist: Es ist Rafes Stieftochter, das ältere Kind seiner Frau Helen. Die Kleine trägt die Pfauenflügel, die er vor langer Zeit für Grace gemacht hat.
    Vor langer Zeit? Es sind keine zehn Jahre, nicht mal annähernd zehn Jahre. Die Augen der Federn schimmern: Der Tag ist dunkel, aber Reihen von Kerzen lassen goldene Fäden aufscheinen, die scharlachroten Farbkleckse der Stechpalmenfrüchte an der Wand und die Spitzen des Silbersterns. Als an diesem Abend Schneeflocken zur Erde treiben, fragt ihn Gregory: »Wo leben die Toten jetzt? Gibt es ein Fegefeuer oder nicht? Es heißt, es gibt es noch, nur weiß niemand, wo. Es heißt, wir erreichen nichts damit, dass wir für die leidenden Seelen beten. Wir können sie nicht mehr herausbeten, wie wir es früher konnten.«
    Als seine Familie starb, tat er alles, was in jenen Tagen der Brauch war: brachte Opfergaben dar, ließ Messen lesen. »Ich weiß es nicht«, sagt er. »Der König erlaubt nicht, für die Seelen im Fegefeuer zu beten, es ist höchst umstritten. Du kannst Erzbischof Cranmer fragen.« Sein Mund zuckt. »Er wird dir die neueste Einschätzung erläutern.«
    »Es ist sehr schwer für mich, nicht für meine Mutter beten zu dürfen. Oder wenn sie mich beten lassen, aber sagen, dass es sinnlos ist, weil mich niemand hört.«
    Stell dir das Schweigen an diesem Ort vor, der keiner ist, dem Vorzimmer Gottes, wo jede Stunde zehntausend Jahre dauert. Einst hast du dir vorgestellt, dort würden die Seelen in einem großen Netz gehalten, einem Netz, das von Gott im Kreis gewirbelt wird, sicher, bis sie in seinen Glanz entlassen werden. Aber wenn das Netz gerissen ist, werden sie dann in den eisigen Raum geschleudert und fallen mit jedem Jahr tiefer hinein in das Schweigen, bis keine Spur mehr von ihnen zu finden ist?
    Er führt die Kleine zu einem Spiegel, damit sie ihre Flügel sehen kann. Sie geht zögerlich, wie in Ehrfurcht vor sich selbst. Die Pfauenaugen im Spiegel sprechen zu ihm. Vergiss uns nicht. Zum

Weitere Kostenlose Bücher