Falken: Roman (German Edition)
Flammen hätte ich ausgeschlagen.
Anne nimmt einen Schluck von ihrem Wein. »Es ist vorbei. Mir ist nichts passiert. Bitte, Mylord Ehemann. Ruhe. Lassen Sie mich das hier trinken.«
Er sieht, blitzartig, wie Henry ihr auf die Nerven geht, mit seiner Besorgtheit, seiner Vernarrtheit, seinem Klammern. Tief in dieser Januarnacht kann sie ihre Gereiztheit nicht verbergen. Sie sieht grau aus, dem Schlaf entrissen. Auf Französisch wendet sie sich an ihn, Cromwell. »Es gibt die Prophezeiung, dass eine englische Königin verbrannt werden wird. Ich dachte nicht, dass das bedeuten würde, in ihrem eigenen Bett. Es war eine vergessene Kerze. Wenigstens ist das die Annahme.«
»Von wem vergessen?«
Anne erzittert. Sie sieht weg.
»Wir erlassen besser die Anweisung«, sagt er zum König, »dass Wasser zur Hand zu sein und immer eine Frau auf dem Dienstplan zu stehen hat, die dafür sorgt, dass alle Kerzen um die Königin herum gelöscht werden. Ich weiß nicht, warum das nicht längst schon so ist.«
All diese Dinge werden im Schwarzen Buch festgehalten, das noch aus König Edwards Zeit stammt. Es regelt den Haushalt, regelt tatsächlich alles bis auf die Gemächer des Königs: Was in ihnen vorgeht, bleibt undurchsichtig.
»Wenn ich nur bei ihr gewesen wäre«, sagt Henry. »Aber sehen Sie, da wir guter Hoffnung sind …«
Der König von England kann sich keine fleischliche Beziehung mit der Frau erlauben, die sein Kind im Leib trägt. Die Gefahr einer Fehlgeburt ist zu groß, und er sucht auch nach Gesellschaft. Heute Nacht kannst du sehen, wie sich Annes Körper versteift und sie sich den Händen ihres Mannes entzieht, bei Tag jedoch ist es andersherum. Er hat Anne beobachtet, wie sie den König in ein Gespräch zu verwickeln versucht: seine Schroffheit, viel zu oft, seine weggedrehte Schulter. Als wollte er sein Bedürfnis nach ihr ableugnen. Und doch folgt ihr sein Blick …
Er ist verärgert. Das sind Frauensachen. Und der Umstand, dass der Körper der Königin, umhüllt nur von einem damastenen Nachthemd, zu schmal scheint für eine Frau, die im Frühling ein Kind gebären soll, auch das ist eine Frauensache. Der König sagt: »Das Feuer ist ihr nicht sehr nahe gekommen. Die Ecke des Wandteppichs ist verbrannt. Absalom, der im Baum hängt. Es ist ein sehr gutes Stück, und ich hätte gerne, dass Sie …«
»Ich lasse jemanden aus Brüssel kommen«, sagt er.
Das Feuer hat den Sohn König Davids nicht erreicht. Er hängt in den Ästen, gehalten von seinem langen Haar: Seine Augen blicken wild drein, und der Mund öffnet sich zu einem Schreien.
Bis zum ersten Tageslicht sind es noch Stunden. Die Räume des Palastes liegen in Stille getaucht, als warteten sie auf eine Erklärung. Wächter patrouillieren die Nacht hindurch. Wo waren sie? Hätte nicht eine Frau bei der Königin sein sollen, auf einem Lager am Fußende ihres Bettes? Er sagt zu Lady Rochford: »Ich weiß, die Königin hat Feinde, aber wie konnte ihnen erlaubt werden, ihr so nahe zu kommen?«
Jane Rochford sitzt auf ihrem hohen Ross, sie denkt, er versucht ihr die Schuld zu geben. »Hören Sie, Master Sekretär, soll ich offen zu Ihnen sein?«
»Ich wünschte, das wären Sie.«
»Erstens ist das eine Sache des Hofstaats und gehört damit nicht zu Ihrem Aufgabenbereich. Zweitens war die Königin nicht in Gefahr. Drittens weiß ich nicht, wer die Kerze angezündet hat. Und wenn ich es, viertens, wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen.«
Er wartet.
»Fünftens: Auch sonst wird es Ihnen niemand sagen.«
Er wartet.
»Wenn jemand, was vorkommen mag, die Königin nach dem Verlöschen der Lichter besucht, ist das ein Ereignis, über das wir einen Schleier breiten sollten.«
»Jemand.« Er verdaut das. »Jemand mit dem Ziel, Feuer zu legen, oder jemand mit anderen Absichten?«
»Mit den für Schlafzimmer gewöhnlichen Absichten«, sagt sie. »Nicht, dass ich damit sagen will, es gebe solch eine Person. Darüber besäße ich keinerlei Wissen. Die Königin weiß, wie sie ihre Geheimnisse bewahrt.«
»Jane«, sagt er, »falls die Zeit kommt, da Sie Ihr Gewissen erleichtern wollen, gehen Sie nicht zu einem Priester, kommen Sie zu mir. Der Priester gibt Ihnen eine Buße auf, von mir bekommen Sie eine Belohnung.«
Welcher Art ist die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge? Sie ist verschwommen und durchlässig, weil sie durchsetzt ist mit Gerüchten, Erfindungen, Missverständnissen und verzerrten Geschichten. Die Wahrheit kann Tore einreißen, die
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