Falkengrund Nr. 32
sich ans Ende der Schlange. Als Kostlek sich neben ihn stellte, hob Freiling müde die Schultern und gesellte sich zu ihnen.
„Mein schwaches Herz“, brummelte er kaum verständlich.
„Keine Sorge, Freiling“, erwiderte Kostlek. „Du wirst noch viele Puzzles fertig stellen, ehe der klapprige Kerl mit der Sense dich holt.“
Freilings Miene spannte sich an, als ahne er, dass sich Kostlek in diesem Punkt irrte …
3
Der Mann am Einlass gewährte ihnen nur einzeln Zutritt, in Abständen von einer halben Minute. Er wies sie an, nicht zu lange an einer Stelle zu verweilen, sondern zügig durch das Haus zu gehen, damit sie nicht aufeinander aufliefen. Meyer ging voraus, Freiling folgte als letzter.
Kostlek, der als zweiter den Eingangsflur betrat, sah sich aufmerksam um. An den Wänden hingen Spinnweben, die ganz und gar nicht künstlich anmuteten, und hinter ihnen schienen menschliche Skelette verborgen zu sein. Das schummrige Kerzenlicht von einem alten, an der Decke langsam hin und her schwingenden Lüster enthüllte nicht genug. Es roch nach Moder und Verfall – von dem süßen Zuckerwatte-Duft, der draußen herrschte, hatte hier nichts Eingang gefunden. „Sauber“, murmelte er anerkennend.
Er ging weiter, durch zwei Zimmer hindurch, in denen es nichts anderes gab als ein paar alte Ölgemälde und durchgesessene, staubige Sitzmöbel. Als er den zweiten Raum bereits verlassen wollte, fiel ihm etwas auf, ganz weit hinten in den schlecht belüfteten Kammern seiner Wahrnehmung, und er trat noch einmal ein paar Schritte zurück. Eines der Bilder zeigte eine mittelalterliche Schlachtenszene mit tödlich verwundeten Rittern im Vordergrund. Blut quoll unter ihren Rüstungen hervor, und genau unterhalb davon stand eine Couch mit einem braunroten Fleck darauf. Es sah aus, als wäre Blut aus dem Gemälde auf das Möbelstück getropft.
Kostlek schüttelte den Kopf und kehrte noch einmal in das erste Zimmer zurück, weil er vermutete, dort ebenfalls ein interessantes Detail übersehen zu haben. Doch so oft seine Blicke es auch durchschweiften, er konnte nichts entdecken. Nur die leicht flackernde Beleuchtung fiel ihm auf, und ein merkwürdiges rhythmisches Geräusch weit im Hintergrund, vielleicht von einer Maschine verursacht. Inzwischen kam Freiling ins Zimmer und erkundigte sich, was es in diesem Raum zu sehen gebe.
„Finde es selbst heraus“, hörte sich Kostlek sagen. Er beeilte sich, die beiden Zimmer zu verlassen, denn er wollte die Erkundungstour ohne den alten Griesgram im Schlepptau fortsetzen. Eine Treppe schloss sich an, und als er seinen Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, hörte er Freiling aufstöhnen. Hatte er womöglich etwas gefunden, was ihm verborgen geblieben war?
Dieses Haus war auf eine hinterlistige, subtile Art und Weise beunruhigend. Es war deshalb beunruhigend, weil man das Gefühl hatte, tatsächlich durch die Privatsphäre Unbekannter zu streifen. Man kam sich wie ein Eindringling vor. Leises Gläserklirren und andere Alltagsgeräusche waren zu vernehmen. Lautsprecher hinter den Tapeten, zweifellos. Nirgendwo verliefen Kabel, nichts war zu sehen, was auf den Einsatz von Technik schließen ließ. Auf der oberen Treppenstufe lag das Einpackpapier eines Schokoriegels. Er nahm an, dass es einem der vorigen Besucher aus der Tasche oder aus der Hand gefallen war. An keinem anderen Ort dieses Themenparks hätte er sich nach Müll gebückt, doch hier tat er es. Er griff nach dem Papier, suchte für einen Moment nach einem Abfalleimer, bis er einsah, dass er hier keinen finden würde. Schon wollte er es in die Tasche stecken, als ihm etwas auffiel.
Die roten Buchstaben auf dem goldenen Hintergrund sahen irgendwie ungewöhnlich aus. Er strich die Folie gerade. Dort stand „Raider“. Plötzlich begriff er, was an diesem Papier ungewöhnlich war. Der bekannte Karamell-Schoko-Riegel hieß jetzt „Twixt“. Wie viele Jahre lag es zurück, dass er „Raider“ geheißen hatte? Zehn, fünfzehn? Mit einem leisen Krächzen ließ er die Folie fallen. Irgendwo schien ein Kind zu lachen. Ohne Frage drang das Lachen von draußen herein. Obwohl es klang, als käme es direkt aus dem Fußboden …
Kostlek konnte sich nur immer wieder wundern. Das Mansion of Fear war perfekt. Die Gänsehaut, die garantiert wurde, hatte er jetzt schon. Er kam durch weitere leere Räume, entdeckte winzige Details, die ihm manchmal schaurig, manchmal belanglos vorkamen. Flecken an den Wänden, deren Formen an die
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