Falkengrund Nr. 32
Freiling. Er kam eben die Treppe herauf, ziemlich eilig und abgehetzt, wie es aussah. Seine Augen fielen ihm beinahe aus den Höhlen. Wahrscheinlich nahm er den Sandmann sofort wahr, oder spürte ihn spontaner, unmittelbarer als Kostlek. Möglicherweise musste man ja täglich an Puzzles mit 5000 Teilen sitzen, um einen siebten Sinn zu entwickeln.
Freiling kam erst gar nicht richtig in den Gang herein. Er erstarrte am oberen Ende der Treppe, hob hilflos die Arme, wie jemand, der etwas tun möchte, aber keinen blassen Schimmer hat, was. Dann zuckte er zurück, als sei etwas auf ihn zugesprungen (und ja, JA, auch Kostlek hatte für einen Moment eine verschwommene, wischende Bewegung gesehen, die aus der Wand kam). Freiling verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten, ruderte mit den Armen, und …
Das Schemen hatte ihn nicht gestoßen. Es hatte ihn nicht berührt. Vielleicht war er einfach auf dem Sand, der hier überall lag, ausgerutscht.
Freilings Körper polterte die Treppe hinab, und unter all den Geräuschen, die er dabei machte, ragte eines hervor – ein dumpfer, irgendwie endgültig klingender Schlag, nur gefolgt von einem schwachen, resignierenden Ächzen.
Und dann Stille.
Kostlek schluckte. Irgendetwas sagte ihm, dass Freiling tot war. Er hätte sich zur Flucht gewandt, hätte nicht die nächste Treppe wieder nach oben geführt, weiter hinauf in einem Haus, das von Stockwerk zu Stockwerk tödlicher und teuflischer wurde. Außerdem war ein Rest Vernunft in ihm, und er sagte sich, dass Freiling vielleicht noch zu retten war, und selbst wenn nicht – würde nicht die Polizei gleich auftauchen und den Vorfall untersuchen? Wie würde es dann aussehen, wenn er, Kostlek, weggerannt war, anstatt sich um den Gestürzten zu kümmern? Seine Gedanken entwickelten sich mit erstaunlicher Klarheit. Es gab keine Zeugen. Würde nicht irgendjemand zwangläufig auf die Idee kommen, Kostlek habe seinen Kollegen die Stufen hinabgestoßen, aus welchem Motiv heraus auch immer?
Vorsichtig, um auf den Sandkörnern nicht auszugleiten, tastete er sich durch den Flur zurück. Vom Sandmann war nichts zu sehen. Kostlek kletterte mit höchster Vorsicht die Treppe hinunter, als wären die Stufen mit Glatteis überzogen. Was er befürchtet hatte, bewahrheitete sich. Freilings gedrungener Körper ruhte wie ein Sack am Fuß der Treppe und bewegte sich nicht. Er lag auf der Seite, der Kopf zurückgefallen, der fleischige Hals war entblößt und lud dazu ein, den Puls zu fühlen. Kostlek tat es und fand keinen, nur warmes, verschwitztes Fleisch.
„Hilfe!“, schrie er. „Ein Unfall!“ Jemand kam, offenbar ein anderer Besucher, und in großem Durcheinander fanden sie den Weg zurück nach draußen.
4
Kostlek und Meyer standen wenige Meter abseits des Mansion of Fear, innerhalb eines Kreises, den die Polizei gezogen hatte. Außerhalb davon drängten sich Hunderte Schaulustiger. Ein Kommissar, dessen Namen Kostlek nicht aufgenommen hatte, hatte die beiden Kollegen des Verstorbenen kurz verhört. Meyer hatte überhaupt nichts mitbekommen.
„Einmal habe ich mir eingebildet, ich hätte Kostlek schreien gehört“, sagte er aus, „aber ich dachte, das sei wohl normal, angesichts der Umgebung. Ich war nicht sicher, ob es sich überhaupt um ihn handelte.“
Kostlek schwieg weitgehend. Er wusste nicht, wie er der Polizei erklären sollte, dass er ein Ungeheuer gesehen hatte. Er spürte einen leichten Schwindel und dazu Kopfweh, als hätte er zu viel getrunken. Beides verschwand, nachdem er einige Zeit an der frischen Luft gestanden hatte.
Fünf Beamte durchsuchten das Gruselhaus und waren nach einer Stunde zu der Erkenntnis gekommen, dass es keine Spuren eines Kampfes gab.
„Es war der verfluchte Sand“, bemerkte Kostlek. Und Meyer stimmte ihm zu: „In einem Haus mit so vielen Treppen darf man den Fußboden nicht mit Sand bestreuen, Gruseleffekt hin oder her. Das ist mörderisch. Ich weiß nicht, wer so etwas überhaupt zulässt.“
Der Kommissar musterte sie lange, minutenlang, ehe er meinte: „Das wollte ich Ihnen noch sagen. Wir haben keinen Sand gefunden. Kein einziges Körnchen …“
Die beiden Männer sahen ihn voll stummen Entsetzens an.
Sie bekamen am Rande mit, wie zwei Verantwortliche der Parkleitung befragt wurden. Natürlich wurde das Gespräch sehr ernst geführt, doch Kostlek gewann nicht den Eindruck, die Beamten würden den Leuten Vorhaltungen machen. Im Gegensatz dazu wurde der Ton des Kommissars ihm und Meyer
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