Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
Haben sie ihn gefunden?«
»Ja, nach mehr als einer Woche Suche stießen sie drei Tagesritte westlich der Oase Al Kariah auf ihn. Sein Kamel war verendet und seine Wasserschläuche waren leer. Wie sich später herausstellte, muss er sehr nachlässig mit ihnen umgegangen sein und die Verschlüsse nicht sachgerecht behandelt haben – wie es ihm schon einmal passiert war, auch wenn er es geleugnet hatte. Auf jeden Fall war er mehr tot als lebendig. Er war von Sinnen und phantasierte. Die Wüste hatte ihn zerbrochen, wie Sadik es ausdrückte. Erst in Omsurman fand er einigermaßen aus seinen wirren Phantasien in die Wirklichkeit zurück. Dort trennten sich mein Vater, Roland und Burlington von Wattendorf und Zeppenfeld. Sie gaben ihnen unmissverständlich zu verstehen, dass sie mit ihnen nie mehr etwas zu tun haben wollten. Gemeinsam segelten Zeppenfeld und Wattendorf dann nach Cairo. Von dort kehrte Zeppenfeld nach Europa zurück. Mein Vater war der festen Überzeugung, dass er nie wieder etwas von den beiden hören oder sehen würde. Doch das stellte sich als Irrtum heraus.«
»Das ist wirklich eine unglaubliche Geschichte«, sagte Gaspard fasziniert, aber auch ein wenig verwirrt. »Doch ich kapiere nicht, was das alles mit dem Verschollenen Tal zu tun haben soll, das du vorhin erwähnt hast, und mit dem Koran und dem Spazierstock und so.«
Tobias hob die Augenbrauen. »Habe ich vielleicht behauptet, ich wollte dir eine simple Geschichte erzählen?«, zog er ihn auf.
»Nein, das nicht«, gab Gaspard zu.
»Ich sage dir, jetzt wird es erst richtig spannend und rätselhaft«, bemerkte Jana mit leuchtenden Augen, »und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Dann erzähl bloß weiter!«, forderte Gaspard Tobias auf.
Die Kutsche schaukelte durch eine scharfe Kurve, sodass sie sich abstützen mussten, während Sadiks Stimme vom Kutschbock zu ihnen drang, als er die Grauschimmel beruhigte.
»All das, was damals in der nubischen Wüste geschah, sollte Folgen haben«, nahm Tobias den Erzählfaden wieder auf. »Es dauerte jedoch ein Jahr, bis sich etwas ereignete, was in Zusammenhang mit jener verunglückten Nilquellen-Expedition zu sehen war. Eines Tages erhielt mein Vater nämlich ein Paket von Wattendorf – es kam aus Cairo. Wie wir später erfuhren, war er dort geblieben, an Geist und Körper schwer erkrankt, wie es hieß. Das Paket enthielt den Spazierstock aus Ebenholz mit einem Knauf in Form eines silbernen Falkenkopfes, dessen Maul weit aufgerissen ist. Du kennst ihn ja.«
Gaspard nickte. Er hatte den seltsamen Stock, der wegen seines sperrigen und scharfkantigen Falkenkopfes als Knauf zum Spazierengehen völlig ungeeignet war, bereits gesehen. Es war mehr ein Stück für einen Sammler von Kuriositäten.
»Wattendorfs Geschenk enthielt auch noch ein merkwürdiges Begleitschreiben sowie ein rätselhaftes Gedicht um diesen Falkenstock. Wie ich von Onkel Heinrich erfuhr, war mein Vater wütend, dass Wattendorfes wagte, mit ihm in Kontakt zu treten. Er hatte ihn und Zeppenfeld aus seinem Leben gestrichen. Mein Vater wollte den Stock deshalb sofort zurückschicken, weil er mit Wattendorf nichts mehr zu tun haben und natürlich schon gar kein Geschenk von ihm annehmen wollte. Doch dieser hatte keinen Absender angegeben. Und nach einigem Hin und Her bekam ich ihn schließlich, weil er mir so gut gefiel. Er stand dann fast ein Vierteljahr bei mir in einer Zimmerecke, ohne dass einer von uns ahnte, was es mit diesem Stock auf sich hatte. Und dann fuhr eines Abends Zeppenfeld vor!« Tobias legte eine kurze Pause ein.
Gaspard wartete gespannt, was nun kommen würde.
»Wenige Monate zuvor hatte mein Vater Falkenhof wieder verlassen und war zu einer neuen Expedition zu den Nilquellen aufgebrochen. Zu der Zeit hielt Jana sich schon auf dem Gutshof meines Onkels auf und erholte sich gerade von den lebensgefährlichen Verletzungen ihres schweren Sturzes.«
»Sadik hat mir wirklich das Leben gerettet«, sagte Jana leise und mit ernster Miene.
»Aber wieso hat Sadik denn diesmal deinen Vater nicht begleitet?«, fragte Gaspard verwundert.
»Sadik hatte eine schwere Erkältung, weil er das raue Wetter nicht gewohnt war, und war nicht reisefähig. Doch mein Vater konnte nicht länger warten, weil er schon ein Schiff gebucht und alle Vorbereitungen getroffen hatte. Er wurde in Madagaskar erwartet. Sie machten deshalb aus, dass Sadik ihm nachreisen und in Chartoum zu ihm stoßen sollte«, erklärte Tobias. »Doch dazu kam es
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