Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
etwas auch nur ahnen können«, sagte Jana beklommen, selbst nicht frei von Gewissensbissen. Denn hätte sie Moustique nicht die Karten gelegt oder doch wenigstens den Mund darüber gehalten, dass sie und ihre Freunde ein Schiff suchten, das sie heimlich über den Kanal brachte, dann wäre das alles nicht passiert. »Ich bin ein Unglücksrabe …«
Sadik ließ ihren Einwand nicht gelten. »Unglücksrabe? Dummes Zeug. Dich trifft nun wahrlich keine Schuld! Wenn der Schatten krumm ist, kann der Stock nicht gerade sein. Leons Verhalten im Hof des Coq D’ore hätte mir eine Warnung sein sollen. Ich hätte an Deck bleiben müssen!« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Der gewöhnliche Mensch bereut seine Sünden, der Auserwählte seine Unachtsamkeit.«
Trotz ihrer bedrückenden, ja geradezu beängstigenden Lage konnte sich Jana einer gewissen Belustigung, die jedoch mehr Galgenhumor als natürliche Fröhlichkeit war, nicht erwehren. »Wie tröstlich, dass du dich für einen Auserwählten hältst«, bemerkte sie. »Das lässt uns hoffen, dass dir doch noch die rettende Idee kommt, wie wir aus dem Schlamassel mit heiler Haut herauskommen können.«
»Jeder, den keine Grenzen einengen und der unter Allahs Himmel seinen Weg frei wählen kann, ist ein Auserwählter«, gab Sadik ernst zur Antwort. »Somit ist ein bàdawi schon durch Geburt auserwählt.«
»Die Beduinen – der Hochadel der Wüste, ja?«
Tobias hatte eine gereizte Bemerkung auf der Zunge, kam jedoch nicht mehr dazu, sie auszusprechen. Denn in dem Moment wurden draußen die beiden Riegel zurückgeschoben und die Tür zur Messe ging auf.
Sadik wich zur Seite, sein Messer in der Hand.
Es war Moustique, der in der Tür erschien. »Nicht!«, stieß er mit angstgeweiteten Augen hervor, als Sadik blitzschnell bei ihm war, ihn packte und ihm die Klinge an die Kehle setzte. »Ich komme, um euch zu helfen!«
»Dann beeil dich uns davon zu überzeugen, solange du dazu noch in der Lage bist!«, zischte Sadik drohend. »Unsere Geduld mit Seeleuten, die uns einen Gefallen tun wollen, ist im Augenblick nämlich arg strapaziert. Was habt ihr mit uns vor?«
Tobias hatte augenblicklich blankgezogen, war hinter Moustique vorbei zur Tür gesprungen und spähte nun in den Gang hinaus. »Niemand zu sehen!«, raunte er.
»Los, sprich!«, forderte Sadik den Seemann noch einmal auf.
»Ich weiß es nicht. Es steht noch nicht fest. Sie sind sich noch nicht einig. Leon ist dafür, euch einfach über Bord zu werfen. ›Ein verdammter Heide, eine diebische Zigeunerin und ein junger Bursche, der bestimmt seine Gründe hat, warum er sich mit solchem Pack abgibt. Niemand wird nach ihnen fragen!‹ Das waren seine Worte, und die meisten sind seiner Meinung«, stieß Moustique fast ohne Atem zu holen hervor, die Augen grotesk zur Klinge hin verdreht.
»Und wer ist dagegen?«, fragte Sadik.
»Ein paar von der Freiwache«, redete Moustique hastig weiter. »Aber er wird sie auch noch auf seine Seite bekommen. Er redet gerade in der Back mit ihnen.«
»Wo?«, fragte Sadik knapp.
»Im Vorschiff, wo wir, die einfache Mannschaft, unser Quartier und unsere Messe haben. Deshalb konnte ich mich ja auch zu euch schleichen. Der Sturm hat endlich nachgelassen, sodass die Freiwache wieder unter Deck gehen konnte. Deshalb müsst ihr die Gelegenheit nützen. Viel Zeit habt ihr nicht. Wenn Leon sie erst einmal auf seine Seite gebracht hat, was ihm mit ein paar Silbermünzen letztlich genauso gelingen wird wie bei den anderen, die ihm geholfen haben euch zu überwältigen, dann ist es zu spät.«
»Zu spät wofür?«
»Um das Beiboot zu Wasser zu lassen und zu fliehen!«, erklärte Moustique.
Jana sah ihn ungläubig an. »Fliehen? Mit dieser Nussschale? Das ist doch Selbstmord!«
»Nein, es ist eure einzige Chance, euer Leben zu retten!«, beschwor Moustique sie. »Das Beiboot ist solide, hochbordig und nicht so leicht zum Kentern zu bringen. Und es hat ein Segel! Ihr könnt vor dem Wind segeln. Dann erreicht ihr in ein paar Stunden die Küste. Wenn ihr es nicht tut, werden sie euch holen. Und mit Messer und Degen werdet ihr sie nicht davon abhalten können, euch zu den Fischen zu schicken. Dafür sind sie schon zu weit gegangen.«
Sadik lockerte seinen Griff. »Aiwa, er hat Recht«, stellte er lapidar fest.
Tobias erbleichte und das Entsetzen stand in seinen Augen – wie er es auch in denen von Jana las. »Wir sollen mit dem Beiboot da hinaus? Aber das ist doch … Wahnsinn!«
Sadik
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