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Falkenhof 03 - Im Banne des Falken

Falkenhof 03 - Im Banne des Falken

Titel: Falkenhof 03 - Im Banne des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schröder
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reagierte jedoch nicht. Lauthals grölte er seine anrüchigen Zoten in Liedform in den Wald, der wie ein grün-brauner Schatten an den Fenstern der Kutsche vorbeihuschte, ließ seine Peitsche knallen und hatte offenbar einen im wahrsten Sinne des Wortes mörderischen Spaß.
    Sie klopften und schrien im Chor, ohne dass sich der Kutscher dazu bewegen ließ, ihnen eine Antwort zu erteilen, geschweige denn das wahnwitzige Tempo zu mäßigen.
    Schließlich nahm Sadik das wahrlich lebensgefährliche Wagnis auf sich, den Kutschenschlag bei rasender Fahrt einen Spalt zu öffnen, den Kopf hinauszustrecken und gegen den grölenden Gesang des Kutschers anzuschreien: »Anhalten, Mann! … Halten Sie an! … Wenn Sie die Kutsche nicht sofort zum Stehen bringen, hole ich Sie mit der Schrotflinte vom Bock! … Haben Sie mich verstanden? … Wir schießen Ihnen von innen die Kutsche in Stücke und Sie mit! … Allah ist mein Zeuge!«
    Sie besaßen überhaupt keine Schusswaffe, aber er hoffte, dass der Kutscher sich nicht mehr so genau an ihr Gepäck erinnerte.
    Einen Augenblick sah es so aus, als wollte der Mann auch diese Drohung ignorieren. Denn er stellte ihnen ein neues Lied vor, in dem es um eine dralle Sixpence-Sally aus der East End Alley ging. Doch während er sie noch an den ersten Erlebnissen von Sallys Wechsel vollem Liebesleben teilhaben ließ, zügelte er schon den feurigen Apfelschimmel und ließ die Kutsche schließlich gemächlich ausrollen.
    »Es geschehen wahrlich noch Zeichen und Wunder«, seufzte Jana, packte ihren Bambuskäfig und ihr Kleiderbündel, stieß den Schlag auf und stürzte geradezu fluchtartig hinaus ins Freie, als fürchtete sie, der Kutscher könne es sich noch einmal überlegen und im nächsten Augenblick erneut zur Höllenfahrt ansetzen.
    Sadik und Tobias folgten ihr auf dem Fuße und nicht weniger begierig, der Kutsche und seinem selbstmörderischen Fahrer zu entfliehen.
    »Warum haben Sie mich denn hier halten lassen? Ich dachte, Sie wollten nach Mulberry Hall? ’«, fragte der Kutscher verwundert.
    »Sie müssen wohl ein anderes Mulberry Hall im Sinn gehabt haben als wir«, antwortete Sadik bissig. »Unseres liegt jedenfalls nicht auf einem Friedhof.«
    Der Kutscher, ein hagerer Mann mit einem Stoppelbart und einer tief in die Stirn gezogenen Ballonmütze aus Lederresten, schüttelte verständnislos den Kopf. »Friedhof? Gibt hier keinen Friedhof nicht. Nur so ’nen Familienacker der Ryhalls und der Burlingtons auf Mulberry Hall, und das Mulberry Hall, das ich kenne, liegt da gleich hinter der Biegung.« Er deutete die Straße hoch, die durch den Wald führte und nach gut hundert Metern eine scharfe Linkskurve machte.
    Sadik seufzte und murmelte leise: »Sich einem Dummkopf begreiflich zu machen ist so aussichtslos, als wollte man einen Stein kochen!« Er zog seinen Geldbeutel hervor und entnahm ihm eine Münze, mit der der Kutscher gut bezahlt war.
    Schon wollte er das Geldstück dem Mann zuwerfen. Der Kutscher hatte jedoch beim Klang der Münzen seine Mütze vom Kopf gerissen und hielt sie ihm nun hinunter. »Werfen Sie es nur hier hinein, Mister!«
    Sadik tat es.
    Tobias und Jana erschraken, als sie dem Fahrer in die Augen blickten, die nun nicht mehr im tiefen Schatten der Mütze lagen: Sie trugen den milchigen Schleier der Blindheit!
    Als Sadik aufschaute, bemerkte auch er es. »Jah-salam! … Um Gottes willen! … Sie sind ja blind, Mann! Was hat ein Blinder auf dem Kutschbock einer Mietdroschke zu suchen?«
    Der Kutscher steckte das Geldstück ein, nachdem er es befühlt und für einen angemessenen Lohn befunden hatte, und lachte kehlig. »Blind? Ich seh noch ganz ordentlich, Mister. Was ist schon dabei, wenn für mich jeden Tag Nebel ist? Ich finde hier jede Straße auch mit verbundenen Augen und hören tue ich so gut wie ’ne Fledermaus.«
    »Bei Ihrem Gegröle auf dem Kutschbock hören Sie doch nicht einmal den Hufschlag des Pferdes«, meinte Tobias mit grimmigem Spott.
    »Hauptsache, ich höre mich, Mister. Wenn ich singe, höre ich am Klang und Widerhall, wie nahe ich den Bäumen bin und so. Das macht mir keiner nach!«, erklärte der fast blinde Kutscher mit dem Stolz des Einfältigen.
    »Dem Himmel sei gedankt!«, meinte Jana und redete dann beruhigend auf Unsinn ein, der noch immer von der wahnwitzigen Fahrt verstört war.
    »’nen schönen Tag noch!«, rief ihnen der Kutscher fröhlich zu, stimmte wieder seine schlüpfrige Sixpence-Sally-Ballade an und brachte das

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